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KOMMENTAR: Moderne Pflanzenzuchtmethoden angstfrei objektiv beurteilen

Gentechnologie und Pflanzenbiotechnologie sind in den letzten Jahren so nahe zusammengewachsen, dass eine klare Unterscheidung nicht mehr so einfach ist. Das Risiko von neuen Pflanzensorten sollte allerdings nicht aufgrund der Züchtungsmethode, sondern anhand derer Eigenschaften beurteilt werden, meint Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich.

In der letzten Zeit wird uns immer wieder vor Augen geführt, dass es noch einige sehr grosse Herausforderungen in unserem Landwirtschafts- und Ernährungssystem zu bewältigen gibt. Innerhalb dieser Thematik wird etwa über die wachsende Weltbevölkerung diskutiert oder auch über die Konsum- und Ernährungsgewohnheiten wie der weltweite Fleischkonsum, der nach wie vor am Steigen ist. Ausserdem wurden zuletzt unter anderem durch die Folgen des Ukrainekrieges gewisse Produktionsfaktoren und deren Auswirkung auf die Lebensmittelverfügbarkeit und die Preisentwicklung der Lebensmittel auch noch verstärkt auf den Diskussionstisch gebracht.

Als Hauptherausforderung gilt jüngst allerdings vor allem der Klimawandel. Und zwar nicht nur, die langsam aber stetig steigenden Durchschnittstemperaturen, die der Klimawandel mit sich bringt, sondern vor allem auch die Extremereignisse wie beispielswiese die extreme Trockenheit im Jahr 2018, die extreme Hitzewelle im Jahr 2019 oder die extrem nassen Frühsommer in den Jahren 2016 und 2021.

Pflanzenzüchtung und Züchtungsforschung für die Zukunft

Zusammen mit dem sich verändernden Klima treten mit der heute gelebten Globalisierung auch Pflanzenkrankheiten an Orten auf, wo sie bis jetzt nicht aufgetreten sind. Die veränderten Klimabedingungen haben also auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung und die Verbreitung von Pathogenpopulationen. Pflanzenschutz wird daher immer wichtiger und gleichzeitig immer verpönter.

«Ich glaube, die Schweiz will einen nachhaltigen Pflanzenschutz mit einem absoluten Minimum an Pflanzenschutzmitteleinsatz – dafür und für all die anderen Herausforderungen der Zukunft brauchen wir eine starke Pflanzenzüchtung, um die Kulturpflanzen genetisch fit machen zu können», sagt Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Die Herausforderungen in der Land- und Ernährungswirtschaft seien gross und eine starke Pflanzenzüchtung sei ein tragender Pfeiler einer nachhaltigen Landwirtschaft: «Es ist allerdings nur ein Faktor, nur ein Pfeiler – aber es wird ein wichtiger Pfeiler sein.»

Züchtungsfortschritte seit tausenden von Jahren

Züchtung bedeute eine Pflanze genetisch zu verändern und das mache der Mensch seit zirka 12’000 Jahren. Die allermeisten der heutigen Kulturpflanzen seien durch Auslesezüchtung entstanden, erklärt Bruno Studer. «Auslesezüchtung bedeutet nichts anderes als das Warten – Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende – auf spontan auftretende Mutationen, um dann spannende Eigenschaften, die aus diesen Mutationen resultieren, in die nächsten Generation zu bringen, also diese zu selektieren», führt er weiter aus. Das Prinzip der Auslesezüchtung basiert allerdings ausschliesslich auf Zufall.

Ein erster Meilenstein der Pflanzenzüchtung wurde schliesslich etwa vor 150 Jahren gelegt, als Gregor Mendel mit seinen ersten Erkenntnissen aus der Vererbungslehre den Grundstein dazu legte, dass man gut kombinierende Genome zuerst durch Kreuzungszüchtung und später dann durch Hybridzüchtung gezielt zusammengebracht und für die Pflanzenzüchtung ausnutzen konnte. «Die Genkombinationen die resultierten, wenn man diese Genome zusammengebracht hat, waren aber auch alle zufällig», erläutert Bruno Studer.

Von «verstrahlter» Mutationszüchtung zu Genomeditierung

Weiter entlang der Züchtungsgeschichte stiess man nach der Kreuzungszüchtung und Hybridzüchtung schliesslich auf die Mutationszüchtung, einem weiteren Meilenstein der Pflanzenzüchtung. «Mutationszüchtung ist etwas Eindrückliches», erklärt Bruno Studer, «in der Mutationszüchtung wurde in den 1940er- bis 1960er-Jahre kreisförmig um eine radioaktive Quelle Weizen angebaut und ausgesät.» Der Grossteil des Weizens sei aufgrund der radioaktiven Strahlung gar nicht erst gekeimt und die Keimlinge verendet.

«Die wenigen Keimlinge, die es dann trotzdem durch diese massive hochinvasive Mutationsinduktion, die man mit diesen Pflanzen betrieben hat, geschafft haben, haben dann zum Teil Eigenschaften hervorgebracht, die für die Pflanzenzüchtung besonders geeignet waren», erzählt der Professor. Etwa 3’500 Sorten von fast 200 Kulturpflanzen im heutigen europäischen Sortenkatalog hätten ihren Ursprung irgendwo in dieser Mutationszüchtung. «Zum Beispiel haben sämtliche Braugersten im Pedigree Mutationszüchtungen und auch bei Durumweizen gehen auch die meisten Sorten auf Mutationszüchtung zurück und interessanterweise auch die meisten Weizensorten, die insbesondere im Biolandbau ganz besonders gut funktionieren», sagt Bruno Studer.

Pflanzenzüchtung war und ist von Innovation geprägt

Vor 25 bis 30 Jahren wurde durch die Gewebekultur schliesslich der Grundstein zur klassischen Gentechnologie gelegt: Gewebekultur ist die Möglichkeit eine Zelle und damit gewisse Eigenschaften dieser Zelle im Labor wieder in eine ganze Pflanze zu regenerieren. Dann folgten die Markergestützte Züchtung (Smart Breeding) und die Genomische Selektion, wobei aufgrund eines hochauflösendes Erbgutprofiles beispielsweise eines Blatts einer Weizenpflanze vorausgesagt werden kann, ob diese Pflanze gut geeignet ist für die Weiterzucht – ob sie beispielsweise besonders resistent oder von besonderer Qualität ist.

Und ganz aktuell ist die Pflanzenzüchtung bei der Genomeditierung angelangt. Genomeditierung sei aber keine neue Idee, erklärt Bruno Studer: «Die Idee der Genomeditierung besteht seit wir menschliche Erbkrankheiten kennen – neu ist allerdings die Genschere und dass wir diese Genschere sehr präzise einsetzen können.» Das Werkzeug der Genschere – auch Crispr/Cas genannt – eröffne ganz neue Möglichkeiten, gezielt Genommodifikationen einzuführen.

Moderne Pflanzenzüchtung ist mehr als nur Crispr/Cas

«Crispr/Cas kann verwendet werden, um an vorbestimmten Orten Mutationen oder Genomveränderungen zu erzeugen – es ist allerdings nicht mehr und nicht weniger als ein Werkzeug», gibt Bruno Studer zu bedenken, denn es komme ganz entscheidend auf die Anwendung an. Also darauf, ob beim Einsatz mit der Genschere beispielsweise arteigenes oder artfremdes Material eingebracht werde. Und es spiele eine Rolle, wo die Genomeditierung eingesetzt werde. «Wenn wir uns die Mutationszüchtung vor Augen halten und daran denken, wie invasiv diese war, dann spielt es eine grosse Rolle, ob wir von Crispr/Cas in der Pflanzenzüchtung sprechen oder vom Einsatz beispielsweise beim Menschen – oft wird dies in der Öffentlichkeit allerdings zusammengemischt», ergänzt Bruno Studer.

Mit solchen neuen Züchtungswerkzeugen könne die Diversität und die genetische Vielfalt in der Züchtung allerdings entscheidend vergrössert werden. Mit Cripsr/Cas gäbe es am Beispiel Mais beispielsweise die Möglichkeit, Eigenschaften wie gewisse Krankheitsresistenzen oder andere Ressourcen der ursprünglichen Wildpflanze Teosinte oder von früheren Landrassen, die über die Jahrhunderte verloren gegangen sind, wieder in die heutigen Sorten zurückzuholen ohne dass ein Sortenzerfall befürchtet werden müsste und die aktuellen Sorten einen Rückschritt machen würden.

Als weiteres Beispiel führt Bruno Studer Weizen ins Feld: «Bei Weizen kann der Mehltaupilz grosse Ernteausfälle verursachen, dieser Mehltaupilz kann Weizen aber nur infizieren, wenn der Anfälligkeitsfaktor in der Pflanze vorhanden ist», erklärt er. Und da Weizen eine komplexe Kulturpflanze mit sechs Genomkopien sei, müsste der Anfälligkeitsfaktor auf jeder der sechs Genomkopien ausgeschaltet werden, damit die Pflanze resistent würde. «Mit konventioneller Züchtung ist dies aber praktisch unmöglich oder es würde viele Jahrzehnte dauern», illustriert Bruno Studer.

Neuen Züchtungsmethoden eine Chance geben

Sollte es nur für eine oder wenige der vielen Krankheiten gelingen, vernünftiges Material gegen diese Krankheiten herzustellen, dann wäre es sicher auch für die Schweizer Züchter von grossem Interesse, diese Resistenzquelle auch in ihrem Pflanzenmaterial zu verwenden, ist Bruno Studer überzeugt. Deshalb dürfe man die neuen Züchtungsmethoden nicht voreilig abtun. Mittlerweile gebe es ausserdem eine ganze Reihe von Publikationen zu Kulturpflanzen, wo solche Anwendungen angewendet wurden. Zwar seien die wenigsten dieser Anwendungen bereits auf dem Markt, aber es gebe eine ganz breite Palette von Produkten, die kurz vor der Kommerzialisierung stehen oder wo die Forschung in einem frühen oder bereits sehr angewandten Stadium praktiziert werde.

«Bei den neuen Züchtungsmethoden darf auch nicht vergessen werden, dass es nicht ausschliesslich nur um Resistenzen geht, sondern auch um Geschmack, Farbe, Lagerungseigenschaften, Stresstoleranz und viele weitere Eigenschaften» sagt Bruno Studer. Es gebe etwa 400 wissenschaftlich beschriebene Anwendung dieser Eigenschaften und sicher seien nicht alle diese Eigenschaften relevant für die Schweizer Landwirtschaft: «Aber es gibt eben durchaus solche, dir wir für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzen können.»

Die neuen Züchtungsmethoden haben auch Grenzen

Nebst den vielen Versprechungen, die mit den neuen Technologien einhergingen, hätten diese sich auch Limiten, meint Bruno Studer. So gebe es weltweit nur ganz wenige Labore, welche die ganz komplexen Editierungen, bei denen zusätzliche Informationen in eine Pflanze eingebracht werden, effizient umsetzen könnten. Die allermeisten Anwendungen der neuen Züchtungsmethoden seien einfache Mutationseinfügungen an einer ganz bestimmten Stelle. Daneben setze Genomeditierung voraus, dass ein Labor eine einzelne Zelle einer Pflanze erhalten könne und aus dieser Pflanzenzelle schliesslich auch wieder eine fruchtbare Pflanze regenerieren könne und das funktioniere noch lange nicht bei allen Kulturpflanzen. Das sei auch sehr Genotypen-, also materialabhängig.

Ein weiterer Punkt, der kritisch betrachtet werden müsse, sei die Verfügbarkeit, erklärt Bruno Studer. Die Verfügbarkeit sei einerseits von der Regulierung abhängig, andererseits vom Patentschutz, der nicht nur auf der Technologie selbst, sondern auch auf die Sorten, die dabei herauskommen, angewendet werden könne. «Die Verfügbarkeit ist also sowohl von der Patentierung abhängig und davon, wie wir diese Technologie regulieren», erklärt der Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung weiter.

Pflanzenzüchtung ist nur ein Puzzleteil im grossen Ganzen

«Crispr/Cas ist aber auch erst der Anfang – die allererste Generation von Crispr/Cas wurde bereit abgelöst durch noch präzisere Editingverfahren», erklärt Bruno Studer. Und man könne sich nicht vor der Tatsache verschliessen, dass diese neuen Verfahren angekommen sind – in der Landwirtschaft und in der Schweiz. Auf der einen Seite gelte es also, die neuen Züchtungsmethoden aufzugreifen und insbesondere dort nutzbringend einzusetzen, wo die klassische Pflanzenzüchtung an die Grenzen stosse. Die Risiken seien überschaubar und im Vergleich beispielsweise zur Mutationszüchtung oder zum Gewebekulturverfahren der konventionellen Pflanzenzüchtung ähnlich oder sogar kleiner.

«Es gilt nun, die Regulierung in der Schweiz und in Europa irgendwie realisierbar dem Fortschritt der Wissenschaft und der Technik anzupassen», meint Bruno Studer. Und nicht die Technologie an sich, sondern die Anwendung sei einer Risikoprüfung und einer Regulierung zu unterziehen. «Wir werden in mittel- bis langfristiger Zukunft nicht darum herumkommen, das Produkt, also die Eigenschaften einer Pflanze ins Zentrum zu stellen, wenn wir über Risiko und Regulierung sprechen – denn in meinen Augen ist nur die Eigenschaft einer Pflanze massgeblich, ob sie in unserem Agrarökosystem ein Risiko darstellt oder einen Nutzen hat», ist der ETH-Professor überzeugt.

Schlussendlich könne Genomeditierung als weiteres Züchtungswerkzeug durchaus einen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft leisten – Pflanzenzüchtung und damit Genomeditierung sei letztendlich aber nur ein einziges Werkzeug von vielen auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. «Wir sollten dieses Tool deshalb auch nicht zu sehr ‹hypen› – es ist sicher in vielerlei Hinsicht spannend, es wird aber die Pflanzenzüchtung und auch die Welt nicht revolutionieren», relativiert Bruno Studer. (LID)

Stichworte: .LANDWIRTSCHAFT: .TECHNOLOGIE:
(gb)

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