Foodfachzeitung im Internet
Donnerstag, 24. Oktober 2024
News, Tipps, …
Druckansicht19.04.2022
KOMMENTAR: Bio allein kann die Welt nicht ernähren

Urs Niggli, langjähriger Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FibL und jetzt Präsident des Instituts für Agrarökologie ist überzeugt, dass die ganze Welt nachhaltig ernährt werden kann. Aber eine Superlösung gibt es nicht, weder Bio, noch Veganismus. Ein Umdenken fordert er bei neuen Züchtungsmethoden.

Urs Niggli ist sich sicher: Die Landwirtschaft kann die ganze Welt nachhaltig ernähren. «Wenn man schaut, wie die Weltbevölkerung wächst, können wir global keine Extensivierungsstrategie fahren», so Niggli an einem Referat an der DV des Solothurner Bauernverbandes. Denn selbst wenn die Produktivität wächst wie bisher gibt es bis 2050 einen Food Gap von 50 Prozent, zu wenige Kalorien werden produziert. «Die Kunst wird sein, mehr Produktivität zu erreichen und gleichzeitig umweltfreundlicher zu produzieren», meint Niggli.

Nachhaltig produzieren, also alles auf Bio? Die Superlösung gebe es nicht, sagt Niggli. «Biolandbau kann die Welt nicht ernähren.» Derzeit sei der Bio-Anteil weltweit bei marginalen 2 Prozent und das EU-Ziel von 25 Prozent bis 2029 hält er für kaum realistisch. Bio-Landbau habe klare ökologische Vorteile und es sei wichtig, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden. Aber für Niggli gibt es einen grossen Zielkonflikt zwischen Bio und der globalen Ernährung.

Und das deshalb: An eher ertragsschwachen Standorten ist Bio ertragsmässig auf dem Niveau des konventionellen Landbaus oder sogar stärker. «Wo keine guten Voraussetzungen für Produktivität herrschen, ist Bio eine gute Alternative», erklärt es der Agrarwissenschaftler. Ist aber der Standort ertragsstark, steigt der Ertragsunterschied zugunsten der konventionellen Produktion deutlich an. An guten Standorten in Norddeutschland liege der Unterschied bei rund 50 Prozent, in der Schweiz bei 20 bis 25 Prozent. «Diesen Zielkonflikt können wir nicht schönreden. Bio hat Vorteile, aber auch Schwächen.»

Rein vegan? Unmöglich

Wenn Bio nicht die Superlösung sein kann, dann rein pflanzliche Ernährung, um kein Futter mehr für Tiere herstellen zu müssen? Aus pflanzlichen Produkten können man schon perfekte Burger herstellen, die richtig nach verbranntem Blut schmeckten, so Niggli. Grund dafür sind genmodifizierte Sojawurzeln mit Hämoglobin. «Aber auch dieser Burger verbraucht Ackerland, ist also keine wirkliche Alternative», so Niggli. «Wir haben global rund 50 Prozent obligates Grasland. Wenn wir das aus der Produktion rausnehmen, können wir die Menschheit nicht ernähren.» Das gäbe riesige Probleme, auch könnten Getreidenebenprodukte nicht mehr genutzt werden. Man müsse dafür schauen, dass man diese über Tiere veredeln könne.

Ein grosses Thema sind Novel Foods wie Insekten oder künstliches Fleisch. Bei den Insekten ist laut Niggli entscheidend, wie man diese füttert. «Gibt man ihnen Getreide, sind Insekten auch nichts anderes als Schweine.» Nur wenn man sie mit Lebensmittelabfällen füttere, ergebe das Sinn. Und da existieren derzeit noch rechtliche Hürden. Als zukunftsträchtig erachtet Niggli zellbasiertes, also künstlich hergestelltes Fleisch. Aktuell sei das teuer, werde künftig aber eine echte Alternative. Als besonders spannend sieht Niggli Algen an. Wenn man die Fläche von Portugal aufs Meer ausklappe, könnte man damit die ganze Welt ernähren und gleichzeitig das Wasser säubern.

Entwicklungen hin zu neuen Lebensmitteln sind als wichtig. Enorm bedeutend ist für Niggli auch, dass auf Zucht gesetzt wird. «Wir müssen mehr Geld in Pflanzenzucht investieren», stellt er klar. Es gebe aktuell «gewisse Fantasien» zu natürlicher Züchtung. «Wir züchteten hunderte Jahre lang und die modernen Sorten haben nichts mit der Natur zu tun», kritisiert er diesen Ansatz. «Den Sprung von modernen Sorten zu modernen Gentech-Sorten sieht man gar nicht. Ganz anders als von der Wildsorte zur modernen Sorte.»

Es sei paradox, das gigantische Potenzial von CRISPR/Cas – der Genschere – nicht zu nutzen und gleichzeitig zu verlangen, weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Immerhin stelle er fest, dass sich die Diskussionskultur darüber verbessert habe. Früher sei er für solche Aussagen von der Bioszene exkommuniziert worden. Moderne Technik fordert er auch bei den Maschinen: Smart Farming sei eine riesige Chance. Mit präziser Landwirtschaft könnten 50 bis 90 Prozent der Pflanzenschutzmittel eingespart werden.

«Die wichtigste Lösung heisst Suffizienz», sagt Niggli. Effizienz allein bringe nichts. «Wir müssen uns beschränken, Food Waste und Fleischkonsum halbieren.» Dass der Konsum reine mit Information der Konsumenten in diese Richtung gelenkt werden kann, daran glaubt Niggli nicht mehr. Er setzt auf Incentives und allenfalls gesetzlichen Hebeln. Mehr pflanzliche Proteine, weniger Fleisch und Food Waste, Wiederkäuer mit hohen Raufutteranteil und Nutzung der Nebenprodukte von Ackerbau und Spezialkulturen: «Mit solchen Szenarien kann man alle Menschen ernähren und das nachhaltig.» (LID)
(gb)

News, Tipps, … – die neuesten Beiträge
23.10.2024
dWISSEN: Maniok und Yamswurzel richtig verarbeiten
20.10.2024
dTIPP: Gastromesse Goûts & Terroirs 2024
17.10.2024
dTIPP: Swiss Bakery Trophy 30.10.-3.11.2024
16.10.2024
dKOMMENTAR: Gesundheitskosten senken mit Zuckersteuer
14.10.2024
dSAISON: Vitamin- und proteinreicher Rosenkohl
13.10.2024dKOMMENTAR: Politik und Wirtschaft beeinflussen Ernährungsempfehlungen
07.10.2024dKOMMENTAR: Was dürfen Nahrungs-Ergänzungsmittel (nicht) enthalten?
03.10.2024dWISSEN: Chicorée richtig verarbeiten roh oder gekocht
02.10.2024dFORSCHUNG: Dauerhaft zuviel Lactose kann Gehirn schädigen
29.09.2024dKOMMENTAR: Kuhmilchprodukte vs pflanzliche Alternativen
26.09.2024dTIPP: Richtig einfrieren und auftauen – was (nicht) frosten
24.09.2024dKOMMENTAR: Vertical Farming für künftige Proteinversorgung
23.09.2024dKOMMENTAR: Reaktionen auf neue Ernährungsempfehlungen
22.09.2024dNEWS: Mehrheit der Schweizer lehnt Zuckersteuer ab
18.09.2024dKOMMENTAR: Proviande kritisiert neue Ernährungsempfehlungen
17.09.2024dTIPP: Gurken richtig verarbeiten
16.09.2024dFORSCHUNG: Laborfleisch neu mit schmerzfreier Stammzellen-Entnahme
15.09.2024dTIPPS: Die richtige Kürbissorte für diverse Gerichte
12.09.2024d NEWS: Planted brilliert an Swiss Vegan Awards 2024
11.09.2024dNEWS: Bund aktualisiert Ernährungsempfehlungen
10.09.2024d KOMMENTAR: warum die Schweiz eine Hochpreisinsel ist
09.09.2024dFORSCHUNG: Schon Kleinkinder essen zu süss und ungesund
06.09.2024dWISSEN: Die beliebtesten Äpfel der Schweiz
05.09.2024dTREND: Zubereitungen mit der Heissluftfritteuse
30.08.2024dNEWS: St. Gallen findet hohe PFAS-Schadstoffmengen im Fleisch
29.08.2024dNEWS: ALDI vergrössert Frisch-, Regional- und Bio-Sortiment
26.08.2024dWISSEN: edle Baumnüsse und eingelegte Schwarznüsse
25.08.2024dTIPPS: Gewürze richtig behandeln und anwenden
22.08.2024d NEWS: Ernteprognose von Äpfeln und Birnen neu mit KI
20.08.2024dWISSEN: japanische Nudelküche
Ecke für Profis
22.10.2024
Schweizer Teigwaren enthalten wenig Heimatweizen

Schweizer Teigwaren aus hiesigen Rohstoffen sind Nischenprodukte. Hartweizen muss grösstenteils importiert werden, ist aber einer der Erfolgfaktoren.
©opyrights ...by ask, ralph kradolfer, switzerland