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FORSCHUNG: Milchprotein-Allergie reduzieren mit Apfeltrester

Weltweit reagieren drei Prozent aller Säuglinge und Kinder allergisch auf Eiweiss in der Kuhmilch. Circa 15 Prozent von ihnen werden ein Leben lang Allergiker*innen bleiben. Dr. Helena Kieserling und Daniel Güterbock von der Technischen Universität Berlin forschen am Fachgebiet Lebensmittelchemie und -analytik daran, die allergische Reaktion auf Milcheiweiss, also auf Milchproteine zu reduzieren und hypoallergene Milchprodukte auf Kuhmilchbasis wie beispielsweise Milchmischgetränke herzustellen, die für Allergiker*innen besser verträglich sind als herkömmliche Milchprodukte. Hypoallergen bedeutet allergenreduziert.

„Verantwortlich für die allergische Reaktion auf Kuhmilch sind die sogenannten Milchprotein-Epitope. Dabei handelt es sich um Strukturbereiche der Proteine, gegen die das Immunsystem bei manchen Menschen Antikörper zur Abwehr bildet. Leider unnötigerweise, denn die Milchprotein-Epitope sind harmlos und stellen für den Organismus keine tatsächliche Gefahr dar“, sagt die Lebensmittelchemikerin Dr. Helena Kieserling.

„Zu erklären ist diese fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems damit, dass ähnliche Epitope auch in Proteinen von Bakterien und Viren vorkommen. In diesen Fällen ist es jedoch vom menschlichen Immunsystem sinnvoll, eine Immunantwort auszulösen, um Krankheitserreger unschädlich zu machen. Das Immunsystem von Kuhmilch-Allergikern kann also nicht erkennen, dass es sich beim Protein-Epitop in der Milch nicht um einen Krankheitserreger handelt.“

Immunsystem wird ausgetrickst

Um das Immunsystem daran zu hindern, gegen Protein-Epitope in der Kuhmilch Antikörper zu bilden und damit eine allergische Reaktion auszulösen, „maskieren“ Daniel Güterbock und Dr. Helena Kieserling das Milchprotein-Epitop. „Die ‚Maske‘, die wir dem Milchprotein-Epitop aufsetzen, besteht aus phenolischen Verbindungen und die bewirken, dass sich das Immunsystem zu keiner oder zumindest einer abgeschwächten Abwehrreaktion veranlasst sieht“, sagt Daniel Güterbock. Phenolische Verbindungen werden von Pflanzen produziert. Sie sind deren sekundären Stoffwechselprodukte und dienen den Pflanzen unter anderem als Schutz gegen Frassfeinde, wirken antioxidativ oder bestimmen die Farbe.

Die phenolischen Verbindungen extrahieren Daniel Güterbock und Dr. Helena Kieserling aus Apfeltrester, dem Nebenprodukt bei der Herstellung von Apfelsaft. In Deutschland fallen Tonnen von Apfeltrester an, der bislang fast ausschliesslich als Tierfutter verwendet wird. Denkbar wäre zukünftig eine Extraktion der phenolischen Verbindungen auch aus anderen Obst- und Gemüsetrestern.

Aber wie läuft die Maskierung ab? „Wir mischen die Milch mit den phenolischen Verbindungen aus dem Apfeltrester unter spezifischen Reaktionsbedingungen. Dabei reagieren die Verbindungen mit dem Milchprotein-Epitop. Für unsere ‚Maskerade‘ und letztendlich für unser Ziel, allergenreduzierte Milchprodukte herzustellen, nutzen wir die Erkenntnis aus der Grundlagenforschung, dass die phenolischen Verbindungen der Pflanze mit Proteinen wechselwirken und nutzen diese Reaktion, um das Immunsystem austricksen“, erklärt Daniel Güterbock.

Kuhmilch dient den beiden Forschenden als Modell. „Übertragbar ist unsere Idee jedoch prinzipiell auf alle Eiweisse – tierische wie pflanzliche. Denn wie hinlänglich bekannt – gibt es zum Beispiel auch eine Erdnussallergie, deren Ursache Proteine sind“, sagt Dr. Helena Kieserling und fügt an: „Allergien sind in den meisten Fällen Reaktionen des Immunsystems mit Proteinen, im Unterschied zu Lebensmittelintoleranzen wie der Lactoseunverträglichkeit. Diese beruht darauf, dass Enzyme den Milchzucker nicht aufspalten können. Allergien und Intoleranzen haben also unterschiedliche Ursachen, werden jedoch häufig fälschlicherweise synonymisch verwendet.“

Ökologisch und ökonomisch sinnvoll

Der Ansatz, die Allergenität von Milchproteinen zu reduzieren, indem sie Kuhmilch oder andere Lebensmittel, die auf Basis von Kuhmilch hergestellt werden wie Joghurt und Quark, mit pflanzlichen phenol-reichen Extrakten mischen, hat neben dem gesundheitlichen Aspekt noch einen ökologischen und ökonomischen Nutzen. „Der Apfeltrester, das Nebenprodukt der Apfelsaftherstellung, wir sprechen absichtlich nicht von Abfall, findet eine zweite Anwendung und bleibt somit im Rohstoffkreislauf. Und der ökonomische Vorteil besteht darin, dass die Produktion unserer Milchmischgetränke in die bestehenden Produktionsprozesse eines Herstellers von Milchprodukten ohne technischen Mehraufwand und hohe Kosten integriert werden kann“, so Dr. Helena Kieserling.

Derzeit im Handel erhältliche allergenreduzierte Milchprodukte werden dagegen unter hohem technologischem und finanziellem Aufwand hergestellt. Grund: Bei diesen Verfahren wird das Protein-Epitop in der Regel komplett in seine Bestandteile zerlegt, sodass das Immunsystem es nicht mehr erkennen kann. Und die Zerlegung, die Wissenschaftler*innen sprechen von Hydrolyse, ist extrem aufwendig.

Zudem finden die auf diese Weise hergestellten Produkte bei Verbraucher*innen kaum Anklang, weil sie einen bitteren Beigeschmack haben. „Zwar stehen die sensorischen Tests für unser Milchmischgetränk auf der Basis von phenol-reichen Rohstoffen wie Apfeltrester noch aus, aber wir gehen davon aus, dass die phenolischen Verbindungen – besonders in Kombination mit herkömmlichen Fruchtzubereitungen – weitestgehend geschmacksneutral sind“, so Güterbock. Ob aus der Idee einmal ein marktreifes Lebensmittel wird, hängt jedoch entscheidend davon ab, inwiefern es den beiden Forschenden gelingt nachzuweisen, dass ihr Produkt aus Kuhmilch und phenolischen Verbindungen aus Apfelextrakt die Immunreaktion bei betroffenen Säuglingen und Erwachsenen deutlich dämpft. Diese Untersuchungen laufen momentan. (Technische Universität Berlin)
(gb)

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