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Freilandschweine im Trend
Sogar Alpschweine dürfen oft nur auf einer engen Betonterrasse frische Luft schnappen. Richtig in grüner Weide dürfen nur wenige wühlen und suhlen in der Schweiz, aber es gibt sie.


Die Ormalinger Weideschweine des Hofguts Farnsburg dürfen auf der Weide suhlen und wühlen – ein Mehrwert für Tierwohl und Fleischqualität.


Konsumenten wünschen sich immer mehr Fleisch aus besonders tierfreundlicher und vor allem Freiland-Haltung. Schweine auf der Weide sind für viele der Inbegriff einer artgerechten Tierhaltung. Dabei werden die Tiere während des ganzen Jahres auf einer Parzelle im Freien gehalten. Weidehaltung entspricht auch dem Naturell der Schweine. Die Schweiz mit ihren vergleichsweise kleinen Betrieben eignet sich hierfür besser als zur Massenproduktion. Gerade für Biobetriebe kann dies eine interessante Alternative sein.

Heute werden gemäss der Gastrotagung von Schweizer Tierschutz STS Schweine nur noch vereinzelt auf der Alp gehalten. Die Tiere leben dort überwiegend in Ställen mit Beton-Auslauf und werden mit Getreidefütterung auf ihr Schlachtgewicht gebracht – meist ohne Weidegang. Sie leiden aufgrund ihrer hellen Pigmentierung und dem wenig ausgebildeten Borstenkleid schnell unter Sonnenbrand. Zudem vertragen sie die raschen Klimawechsel im rauen Alpenklima nur schlecht. Dennoch wird diese Art der Tierhaltung gemäss STS als tierfreundlich angepriesen.

Eine auf Weideschweinefleisch spezialisierte Metzgerei ist Jenzer in Arlesheim. Sie schreibt auf ihrer Website www.goldwurst.ch: Wir sind sehr stolz auf unsere einmaligen Freilandsäuli! Keine Metzgerei der Schweiz verarbeitet ganzheitlich rund 2000 Freilandschweine pro Jahr. Unsere Lieferanten können jederzeit besucht werden wie etwa der Gutsbetrieb der Strafanstalten Witzwil im Berner Seeland. Die Freilandsäuli sind vom Veloweg aus zu beobachten. Oder der Hof der Familie Steiner in Vullierens nördlich von Lausanne. Weidefleisch-Anbieter sind oft Gutshöfe, welche die Schweine halten, teilweise selber schlachten und das Fleisch direkt an Konsumenten oder Gastronomen verkaufen, oft als Mischpakete (nachstehend einige Beispiele).

Weil das Freilandschwein-Produktionssystem in die Fruchtfolge eingebaut werden muss, ergibt sich eine Begrenzung der Fläche. Auf einer Wiese lassen sich zudem nicht beliebig viele Schweine halten, sonst besteht die Gefahr von Umwelt- und Bodenschäden. Die Freilandhaltung von Schweinen ist daher eine Nischenproduktion. Ein Vorteil für die Produzenten: Die Investitionskosten in der Freilandhaltung sind gering gemäss der Fachzeitung «bioaktuell». Ein Sauenplatz im Freiland verursacht nur etwa ein Fünftel der Kosten eines Stallplatzes.

Englische Studien berichten von 50% niedrigeren Tierarztkosten als bei der Stallhaltung, da die Tiere gesünder seien. Allerdings: Fütterungs- und Tränkeeinrichtungen, Umzäunung und natürlich auch die Tiere müssen jeden Tag bei jedem Wetter kontrolliert werden. Um einen konzentrierten Nährstoffeintrag zu vermeiden, müssen Hütten und Futterplätze regelmässig verschoben werden (Schweine sind reinliche Tiere – sie koten gern an ein- und derselben Stelle im Gegensatz zu Rindern). Im Sommer benötigen sie Schattenplätze und Wasser. Nicht auf jedem Standort kann die ganzjährige Freilandhaltung praktiziert werden, geeignet sind solche mit wenig Niederschlag und leichten Böden.

Markus Dettwiler, Inhaber der Hofgut Farnsburg, welche die bekannte Marke «Ormalinger Weideschweine» lancierte, bestätigt: «Weideschweine benötigen genug Platz und einen geeigneten steinigen Boden. Sie bedeuten nicht nur Mehraufwand sondern wachsen auch langsamer, weil sie sich mehr bewegen. Der Produzent benötigt daher einen höheren Preis für den Mehrwert». Dettwiler arbeitet heute mit der nahen Metzgerei Müller in Stein AG zusammen für Schlachtung und Verarbeitung. (GB)

Portraits:

Freilandschwein-Produzenten
Dies sagen die Produzenten über ihre Schweinehaltung und Fleischqualität auf ihren Firmenwebsites:

Hofgut Farnsburg: Das Farnsburger Weideschwein in Ormalingen BL ist eine Rückkreuzung aus alten Landrassen und lebt mit seinen Artgenossen auf den weitläufigen Weiden des Hofguts. Die Tiere können im Sommer und Winter ihr Gelände auskundschaften und ganzjährig im Dreck suhlen. Bei garstigem Wetter können sie sich auch in die warme Strohhütte verkriechen. Die viele Bewegung, das gemächliche Wachstum und die spezielle Fütterung mit einem Kräuterzusatz machen das Fleisch der Weideschweine einzigartig im Geschmack. Das Futter besteht aus Gras, Heu, Silage und Getreide und wird mit Kartoffeln, Erbsen, Raps sowie möglichst wenig Soja (aus Ungarn) ergänzt (alles ohne Gentech). Eine Kräutermischung verleiht dem Fett einen nussartigen Geschmack. Es werden keine Leistungsförderer (Hormone) oder Medikamente (Antibiotika) beigemischt. Die Weideschweine geniessen ein fast doppelt so langes Leben wie Tiere in Massenhaltung, um das Schlachtgewicht zu erreichen. Sie sind sich an Transporte in Viehwagen gewohnt, denn hofintern werden sie einige Male auf andere Weiden chauffiert. Deshalb ist dies nicht mit Stress verbunden. Der Weg ins nahe gelegene, kleine Schlachtlokal ist kurz. www.hofgut-farnsburg.ch

Mein Schwein GmbH
Die Schweine leben in Kleinandelfingen, Henggart, Nürensdorf, Rümlang und Weiningen ZH. Jedes hat etwa 300m2 Platz. Die Ferkel kommen in kleinen Gruppen auf die Schweinewiesen. Diese strukturieren sie in Wühl-, Ruhe- und Kotplätze. Isolierte Hütten dienen als Unterschlupf, es gibt Schattenplätze, eine Suhle und einen Fressplatz. Das Futter (ohne Soja) stammt von einer Mühle der Region. Die Produzenten arbeiten mit lokalen Kunden-Metzgern, so erreichen sie kurze Transportwege. Im Mischpaket sind alle Fleisch-Stücke von einem Schwein enthalten. Ein Viertel Schwein entspricht etwa 17 Kilo. Davon wird ein Teil weiter veredelt und als Rohess-Schinken und -Speck später geliefert. Innereien können extra bestellt werden. Das Fleisch ist von bester Qualität, hat einen angenehmen Biss und einen vollmundigen Geschmack. http://www.meinschwein.ch/


Freilandschweine von Gottlieb Werffeli in Weiningen («Mein Schwein»)


Gutsbetrieb der Strafanstalten Witzwil:
Witzwil ist bekannt als Pionier für die Freilandschweinehaltung. Die 1000 gutseigenen Schweine leben Tag und Nacht und bei jeder Jahreszeit draussen. Sie haben alles, was Schweine für ein besonders artgerechtes Leben brauchen. Einzigartig ist der Betrieb auch, weil Zucht und Mast am gleichen Standort sind. Dies ermöglicht eine antibiotikafreie Mast seit mehr als 5 Jahren. Die Freilandsäuli haben 100-mal mehr Platz als das Schweizer Tierschutzgesetz vorschreibt! Nach einem Transport von rund 2 Stunden werden sie in Langnau bei der Metzgerei Reber geschlachtet. Ca. 75% unseres Schweinefleischs stammt aus Freilandhaltung, der Rest aus besonders artgerechter Tierhaltung AGRI-NATURA oder IP-Suisse.

Der Gutshof Kalchrain
des Massnahmenzentrums Kalchrain hat ein in den vergangenen 20 Jahren ein fast vergessenes, naturnahes Haltungssystem für Schweine wiederentdeckt. Die Tiere werden nicht in einer Bucht im Stall gemästet sondern leben das ganze Jahr draussen auf Naturboden innerhalb von Fruchtfolgeflächen (frühestens nach 4 Jahren wieder auf der gleichen Parzelle). Pro Freilandschwein stehen 200 m2 zur Verfügung. Aktuell finden sich auf zwei Parzellen mit ca. 360 Aren rund 150 Schweine. Zum Schlafen und bei schlechtem Wetter stehen zwei grossflächige, tief eingestreute Weidezelte zur Verfügung. In Kalchrain wird grossen Wert auf die Mensch-Tierbeziehung gelegt.

Der Nutztier-Systempartner Linus Silvestri AG, Partner des Massnahmenzentrums, arbeitet eng mit initiativen IP- und Bio-Bauern zusammen, die konsequent auf Freiland- und Weidehaltung setzen. Die Haltung der Freilandschweine wird durch den Schweizer Tierschutzes (STS) kontrolliert. Die Produktionsrichtlinien für das Silvestri Freilandschweinprogramm: http://www.lsag.ch/freiland-schwein.html

Kabier
Die Bierwollschweine auf dem Hof Kabier der Familie Dähler im appenzellischen Stein bewegen sich frei auf dem Acker, ihre Fütterung basiert auf dem Biernebenprodukten und wird ergänzt mit Ziegenmolke und Getreide. Die Wollschweine sind eine Rasse, die von der Pro Specie Rara unterstützt wird und um deren Erhaltung gekämpft wird. Wollschweine ergeben ein sehr kräftiges, aber auch sehr fettes Fleisch. http://kabier.ch

Familie Süess, Ballwil
Cyrill und Kathrin Süess haben 2015 das Projekt "Weideschweine" gestartet mit dem Turopolje-Schwein, eine mittelgrosse Schweinerasse, die sehr robust ist und resistent gegen Kälte und Schweinekrankheiten. Sie eignen sich hervorragend zur extensiven Weidehaltung. Die Fütterung besteht vor allem aus Gras und Heu, Gerste, Mais und Leinsamen. Die Weideschweine werden nicht gemästet! Durch die gesunde Fütterung brauchen sie das Mehrfache an Zeit, bis sie ihr Schlachtgewicht erreichen. Die Fettabdeckung ist zwar höher als bei konventionellen Hausrassen, dafür ist das Fleisch umso schmackhafter und von bestem Wasserhaltevermögen. Das Schlachthaus ist nahe gelegen. Beim Schlachten sind die Produzenten immer dabei. Nach dem Abhängen zerlegt Cyrill als ausgebildeter Metzger alle Tiere selber. www.weidefarm.ch

Reigoldswiler Wiesenschwein
Der Reigoldswiler Jungbauer Yannick Steffen setzt auf Weidehaltung und züchtet ein robustes Hausschwein, ein vor kurzem gestartetes Projekt des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) und von Demeter. Seine Bilanz: «Die tägliche Arbeit wurde kleiner, weil ich nicht misten musste. Insgesamt war der Aufwand aber grösser, wenn man das Einrichten der Weide, Reparieren der Zäune und Schutzhütte nach einem Sturm sowie den gestaffelten Transport ins Schlachthaus mitrechnet. Die Säue aber waren zufriedener und gesünder, und ich musste kein einziges Mal Antibiotika einsetzen.» Finanziell zahlte es sich noch nicht aus. Zwar konnte Steffen das Fleisch von 15 Tieren direkt verkaufen. Doch die restlichen 11 musste er zum normalen Grosshandelspreis für Mastschweine liefern. Der Grosshandel zahlt für ein 100kg schweres Schwein gegen 700 Franken. Der Direktverkauf ermöglicht bei einem Mischpreis von 25 Franken pro Kilo gut 1000 Franken pro Schwein. (Text: www.basellandschaftlichezeitung.ch)

KAGfreiland-Projekt „Alpsäuli“
Die Nutztierschutz-Organisation KAGfreiland startete im Sommer 2017 das Pilotprojekt „Alpsäuli“. Melanie Hohl, Co-Geschäftsleiterin KAGfreiland erklärte an der STS-Gastrotagung Ende September 2018: «Wir wollen zusammen mit dem Hof Biomonti in Scharans GR einen Weg aufzeigen, wie auch unter heutigen Bedingungen die Alpung von Schweinen artgerecht erfolgen und so ein Beitrag zur Ökonomie und Ökologie der Alpwirtschaft geleistet werden kann. Wir sömmerten 20 Absetzferkel der Rasse Turopolje auf der Alp Selez in Uri. Auch ohne Zufütterung gelang es uns aufzuzeigen, dass die Haltung einer extensiven Schweinerasse im Alpgebiet auf Weideflächen möglich ist! Die Tiere blieben gesund und verursachten auf den Weideflächen keine übermässigen Schäden.

Die Fleischqualität überzeugte sowohl sensorisch wie auch in Laboranalysen der Suisag. Aber die hohe Nachfrage nach Fleischprodukten konnten wir unmöglich abdecken. Folglich wurden 2018 erneut 18 Turopolje-Jager gealpt. Um die Ökonomie der Mast zu verbessern, erhielten die Tiere in diesem Sommer zusätzlich rund 300g Kraftfutter pro Tier und Tag. Den überwiegenden Teil ihrer Nahrung beschaffen sie sich auf der Weide jedoch selbst. Alle Tiere sind bereits lange vor der Schlachtung für die Direktvermarktung reserviert. www.alpsäuli.ch/projekt
(gb)

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