Foodfachzeitung im Internet
Admin aufrufen
Donnerstag, 12. Dezember 2024
Report
Druckansicht 17.02.2017
Geheimnisse der Fleisch-Garung
Kein Garprozess ist so anspruchsvoll wie der von Fleisch. Die Einflussfaktoren auf die Zartheit sind zahlreich. Im Trend steht Niedertemperatur-Garen. Experten erklären wie und warum.

Bereits schon Tierart und –alter sowie der Muskeltyp bestimmen, ob ein Fleischstück zart wird beim Garen. Ausserdem auch die Fleischreifung, eine allfällige Marinade und vor allem die Garmethode. Bei dieser variieren die Empfehlungen von Fleischexperten und Profiköchen.
Bild: Der bekannte Zürcher Spitzenkoch und Fleischexperte Jacky Donatz brät seine Spezialität Kalbskotelette mit Butter in der Bratpfanne an.

Trends beherrschen die Szene, fundierte Erklärungen fehlen oft, dafür zirkulieren Irrtümer wie «Anbraten schliesst die Poren» (Fleisch hat im Gegensatz zur Haut keine Poren). Auch bei den Zielsetzungen bestehen Unterschiede: soll sich eine Kruste bilden? Wird Bräunung gewünscht? Und der Gargrad (saignant, à point, durchgegart) ist eine Sache der individuellen Vorliebe.

Der wichtigste Trend ist Niedertemperatur-Garen, kurz «Niedergaren» bei einer schwachen Ofentemperatur (im Gegensatz zum Grillieren mit hoher Aussenhitze). Die Vorteile: Das Fleisch wird zarter, verliert weniger Saft und kann ohne Nachgaren warm gehalten werden. Der wichtigste Mechanismus dabei: Im rohen Fleisch binden die Proteine Saft, aber deren Wasserbindefähigkeit sinkt mit steigender Temperatur und vor allem bei der Denaturierung. Der Hauptverlust tritt bereits während den ersten 20 Minuten des Garens auf und vor allem bei Temperaturen über 60 Grad.

Beim Niedergaren entsteht jedoch keine Kruste oder Bräunung und man vermisst den Saft als Basis für eine Sauce. Zumindest eine Bräunung erzielt man mit Anbraten, und hier variieren die Expertentipps. Gemäss dem Schweizer Metzgereifachkundebuch ist es Ermessenssache, ob man das Fleisch zu Beginn anbratet oder roh in den Ofen schiebt. Wenn man genug Zeit habe, solle man das Fleisch roh einschieben. Andernfalls soll man das Fleisch nach dem Anbraten entspannen bzw. ruhen lassen vor dem Garen. Aus hygienischen Überlegungen sei Anbraten von Vorteil dank der besseren mikrobiologischen Sicherheit. Kurzes Anbraten hat auch nach dem Niedertemperatur-Garen Vorteile: Es bilden sich eine Kruste, Bräunung und Röstaromen, ferner steigt eine allenfalls zu tiefe Serviertemperatur. Mit Butter entsteht die schönste Farbe, scharfes Anbraten erzeugt aber Garverluste.


Moderne Gargeräte wie hier der Holdomat von Hugentobler besitzen eine eingebaute Kernsonde und die Kerntemperatur ist gradgenau programmierbar.


Auch Sascha Fliri, Metzgermeister und Fachlehrer an der Metzgereifachschule ABZ in Spiez meint: «Grundsätzlich spielt es keine Rolle ob man das Fleisch vor oder nach dem Niedergaren anbrät. Der einzige Vorteil des nachträglichen Anbratens ist die heissere Oberfläche beim Servieren. Jedoch muss man sich bewusst sein, dass das Stück dabei nachgart». Denn die heisse Aussenzone gibt Wärme ans Innere ab, so dass die Kerntemperatur allenfalls zu hoch steigt. Beim starkem Anbraten entsteht eine Kruste, d.h. die äusserste Schicht wird trockener als die inneren. Fliri gibt Metzgereien und Caterern Tipps: «Wenn man Portionen (zB Steaks) niedergart, sollte man die Stücke im Nachhinein anbraten, weil der Rand dann heiss ist. Grosse Stücke sollte man vorher anbraten - wenn überhaupt - hier spielt es keine grosse Rolle. Die Kruste muss nicht so heiss sein, da man diese Stücke für den Service eher dünn schneidet».

Beim Garen nachreifen

Beim Niedergaren steigt die Kerntemperatur sehr langsam an, wodurch die fleischeigenen Protein-spaltenden Enzyme viel länger wirken als bei der «Hochtemperatur-Kurzzeit»-Methode und eine wirksame Schnell-Nachreifung stattfindet. Bereits bei der Lagerung soll das Fleisch reifen, und der Proteinabbau dabei sorgt für die bessere Zartheit. Aber Edel- und Schmorstücke erfordern unterschiedliche Garprozesse: bei letzteren müssen die End-Kerntemperaturen höher und die Garzeiten wesentlich länger sein. Auch bei dicken Stücken dauert es länger, bis die gewünschte Kerntemperatur, die man gradgenau messen muss, erreicht ist. Edles Fleisch ist dann normalerweise servierbereit, bindegewebereiches Schmorfleisch aber noch lange nicht.

Das ABZ-Fachbuch konkretisiert: «Man rechnet bei Edelfleisch mit etwa 90 Minuten je Kilogramm ab Start der Garung. Schmorfleisch muss dagegen 8 bis 14 Stunden länger garen, damit es zart wird. Mit der Niedertemperatur-Garmethode kann man auch die Zartheit von währschaftem, bindegewebereichem Fleisch verbessern. Gulasch wird auf diese Weise zart, aber nicht breiig oder faserig. Die Gelatine (die aus dem Bindegewebe entsteht) bleibt im Fleisch, wogegen sie beim Schmoren in die Sauce übergeht». Stark durchzogenes Fleisch wie z. B. Schweinshals sei aber weniger geeignet für die Niedergarung, weil das Fett bei den tiefen Temperaturen kaum abtropft und sich auch keine Röstaromen bilden. Niedergaren von Edelstücken auf moderate Kerntemperaturen minimiert ferner Saftverluste, was ebenfalls die Zartheit verbessert (das Fleisch bleibt saftig) und die Schnittausbeute erhöht.

Einflussfaktoren Bindegewebe und Marmorierung

Das Bindegewebe-reiche Schmorfleisch benötigt also eine lange Garzeit. Ausserdem spielt es für die optimale Garzeit- und temperatur eine Rolle, ob das Fleisch marmoriert (durchwachsen) oder mager ist. Man kann die üblichen Fleischstücke gemäss den sinnvollen Garmethoden in Kategorien einteilen: Edelstücke werden zart bei Erreichen einer moderaten Kerntemperatur ohne Haltezeit. Dies sind magere und zarte Stücke wie Bratenstücke (zB Nierstück, Huft, Roastbeef, Lammgigot), dicke Kleinstücke (Filet-Medaillons, Steaks, Koteletts) und dünne Kleinstücke (Geschnetzeltes vom Hinterviertel). Währschafte Stücke dagegen werden zart bzw weich bei langer Kochzeit und höherer Kerntemperatur (weichkochen). Dies betrifft durchwachsene Bratenstücke (Schweinshals, Kalbsbrust, Bauchspeck) und mageres Schmorfleisch (Siedfleisch, Ragout, Kalbshaxe).


Mit Niedertemperatur-Garung kann man auch die Zartheit von bindegewebereichem Fleisch wie Gulasch verbessern.


Die geeigneten Garmethoden und biochemischen Vorgänge beim Garen sind detailliert erklärt in der Gastronomie-Rubrik der Proviande-Website www.schweizerfleisch.ch: Je nachdem ob das Fleischstück bindegewebearm oder -reich ist, wählt man eine dazu passende Garmethode. Das Bindegewebe (Kollagen) umgibt die Muskelfasern. Muskelarten, welche vom Tier wenig beansprucht werden und daher weniger Muskelmasse enthalten, sind arm an Bindegewebe. Solche Stücke sind zarter als die stärker beanspruchten muskulösen und bindegewebereichen Partien. Der Bindegewebeanteil nimmt ausserdem mit steigendem Alter des Tieres zu.

Proteine binden oder verlieren Wasser

Gut gelagertes, bindegewebearmes Fleisch wie Rücken, Filet, Huft und Teile des Stotzens ist zart und eignet sich zum Kurzbraten, Grillieren, Niedergaren, Pochieren und Fritieren. Bindegewebereiche Fleischstücke wie Schulter und Brust sind auch nach Lagerung nicht genügend zart. Erst durch langes Garen in Flüssigkeit oder Dampf bei Temperaturen zwischen 80 und 100 Grad (dünsten, schmoren, sieden) wird das Fleisch weich. Alternativ dazu kann man bindegewebereiche Fleischstücke niedergaren, so dass eine intensive Nachreifung stattfindet. Dabei werden sie relativ zart aber nicht weich gekocht, auch wenn die Zartheit eher etwas gummig bleibt. Diese Methode gilt als «Up-grading», d.h. man kann etwa Gulasch fast zur Textur eines Edelstückes veredeln.

Gar werden = denaturieren

Die Vorgänge beim Garen erklärt der deutsche Polymer-Physiker und Kochbuchautor Thomas Vilgis: Wird Fleisch erhitzt, verlieren die Proteine nach und nach ihre natürliche Form und damit ihre Fähigkeit, Wasser zu binden. Das Fleisch ändert seine Textur und verliert Saft. «Es wird gar», sagt der Koch. «Die Proteine denaturieren», sagt der Physiker. Zwischen 50 und 60 Grad geraten die ersten Proteine aus der Form, die Wasserbindung funktioniert aber noch relativ gut. «Ab ca. 70 Grad können die Proteine das Wasser nicht mehr halten. Fleischsäfte treten aus, das Fleisch wird trocken und zäh», erklärt Vilgis. «Soll das Fleisch saftig und zart bleiben, dürfen nur bestimmte Proteine ihre Gestalt verändern». Dies kann man gezielt mit der End-Kerntemperatur steuern. (GB)



Eine Variante des Niedergarens ist Vakuumgaren (Sous-vide): der Garprozess ist derselbe aber das Fleisch wird in einem Beutel vakuumiert, welcher die Wasserverdampfung an der Oberfläche verhindert.


Vilgis erklärt die Denaturierung im Detail auf www.schweizerfleisch.ch: Die einzelnen Proteine (Actin, Myosin) haben unterschiedliche Gartemperaturen. Myosin gart je nach Fleischsorte schon bei 40 bis 50 °C bzw. 60 °C. Das Fleisch ist in diesem Zustand saftig und weich – aber noch sehr saignant, was nicht bei allen Gästen gut ankommt. Ist das Myosin vollständig denaturiert, setzt je nach Fleischsorte zwischen 60 und 70 °C die Aktin-Denaturierung ein. Vor und zu Beginn der Aktin-Garung ist das Fleisch medium. Schreitet die Aktin-Denaturierung weiter fort – also ca. ab 70 °C – wird das Fleisch immer zäher und bis zur ‹Schuhsohle› ist es nicht mehr weit. Als Garmethode empfiehlt Vilgis Sous-vide: «Hier lässt sich die Temperatur und somit der Garzustand am besten kontrollieren. Wer nicht auf Röstaromen verzichten will, kann in einer sehr heissen Pfanne, unter dem Salamander oder gar mit dem Bunsenbrenner nachrösten – aber nur kurz!»

Und Vilgis weiter: Gut durchwachsenes Muskelfleisch lässt sich einfacher zubereiten als mageres – vor allem bei eher hohen Temperaturen auf dem Grill oder in der Bratpfanne. Denn das Fett im Fleisch schmilzt beim Erhitzen und sorgt so dafür, dass der Temperaturanstieg im Innern des Fleisches gebremst wird. So tritt beim Garen viel weniger Flüssigkeit aus, das Fleisch bleibt saftiger und zarter.


Kochbuchautor Prof. Thomas Vilgis erklärt lebensmittelchemische Vorgänge an einem Marmite-Seminar.


Bei kollagenreichen Fleischstücken – also Schmorfleisch wie Haxen, Schulter und Bäggli – müssen Gartemperaturen und Garzeit höher gewählt werden. Das Bindegewebe Kollagen hat eine starke, eher zähe Struktur, die sehr viel mehr Energie braucht, um zu denaturieren, d.h., um gar zu werden. Meist sind Kerntemperaturen bei circa 68 °C nötig, um die Kollagene zum Schmelzen zu bringen. Aus den geschmolzenen Kollagenen bildet sich Gelatine, die sehr viel Wasser aufnehmen kann. Während also das Muskelfleisch bei 68 °C bereits langsam trocken wird, kann die neu gebildete Gelatine die frei werdende Flüssigkeit wieder auffangen. So wird aus dem anfänglich zähen Kollagen schliesslich ein perfekter Wasserbinder und Zartmacher. Schmorfleisch bleibt also auch bei höheren Temperaturen schön saftig, wenn ausreichend Bindegewebe enthalten ist. (Volltext: www.schweizerfleisch.ch)

Bücher und Kurse über das «Sanft garen»

Metzgermeister und Hobbykoch Werner Wirth hat sich auf das Thema des Fleischgarens spezialisiert, bereits mehrere Bücher darüber geschrieben («Intelligente Küche mit Fleisch», «Gabelzart») und gibt regelmässig Kochkurse für Hobbyköche und Metzger. Er verspricht so zartes Fleisch, dass man es mit der Gabel schneiden kann und viel weniger Gewichtsverlust auftritt. Seine Methode nennt er «perfektioniertes Niedergaren» und rät den Hobbyköchen, das Fleisch zuerst zu marinieren und zuhause nachzureifen bei Temperaturen über 5 Grad, was eine Metzgerei nicht tun dürfe.

Der Garprozess hängt dann vom Muskeltyp und der Stückgrösse ab. Magere Edelstücke benötigen eine niedrigere Ofen- und Kerntemperatur, Schmorfleisch eine höhere. Mageres Gulasch und Siedfleisch soll 24 h roh pochiert werden bei 70-75 Grad, mageres Geschnetzeltes vom Stotzen ebenfalls roh aber nur einige Minuten bei 55-60 Grad. Ein mageres grosses Edelstück sei bei 75 Grad Ofentemperatur zu garen, und Wirth brät es erst nach Erreichen der Kerntemperatur an. www.wewi2.ch (GB)


Teil 2: Der Einfluss der Fleischreifung auf die Zartheit – demnächst in www.delikatessenschweiz.ch
(gb)

Report – die neuesten Beiträge
03.12.2024
dEmotional statt industriell: Zukunft von Schweizer Käse
25.11.2024
dEdle Kulturpilze: Teil 2
18.11.2024
dWelche Backwaren gesund sind und warum
10.11.2024
dSchokoladen und Branchli im Kassensturz-Test
01.11.2024
d Edle Kulturpilze: Teil 1
25.10.2024 dMarkt und Wettbewerb der Alpenprodukte in Stans
18.10.2024 dMehr Nüsse essen
11.10.2024 dSwiss Cheese Awards: Schweizer Käsemeister gekürt
06.10.2024 dWeihnachtsgebäck schon im Oktober?
25.09.2024 dDie offiziell besten Metzgereien 2024
19.09.2024 dPflanzlicher Milchersatz: umweltschonend aber nährwertärmer
08.09.2024 dSchokoladeimitationen ohne Kakao im Trend
01.09.2024 d Warme Schärfe dank Wasabi und Ingwer
21.08.2024 dBrombeeren – wilde schmecken intensiver
14.08.2024 dGlacesorten, -macharten und -trends
07.08.2024 dFeige: Eine der ältesten Früchte der Welt
31.07.2024 dEin Hoch auf Schweizer Bier
24.07.2024 dJetzt hochwertige Beeren richtig verarbeiten
17.07.2024 dFleisch kontra Ersatzprodukte - gesundheitlich betrachtet
10.07.2024 dJetzt Aprikosen verarbeiten: Frische Vielfalt
03.07.2024 dWie wird selbst gemachte Glace cremig?
26.06.2024 dBio und Fleischersatz stossen an Grenzen
19.06.2024 dMultitalente Blumenkohl und Romanesco
12.06.2024 dNeuartige Kaffeealternative mit regionalen Rohstoffen
05.06.2024 dHochverarbeitetes oft ungesund aber nicht immer
29.05.2024 dGelungene Beefsteak-Imitation von Planted
22.05.2024 d Food-Handwerker mit wissenschaftlichen Ambitionen
15.05.2024 d(Un)sinn von Süssstoffen zum Abspecken
08.05.2024 dZartes Fleisch – wissenschaftlich erklärt
01.05.2024 dBackhefe: mehr als ein Triebmittel
©opyrights ...by ask, ralph kradolfer, switzerland