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Nicht nur Filets sind das beste vom Rind
Während Edelstücke immer beliebter werden, finden währschafte immer seltener den Weg auf den Teller. Metzgermeister Christoph Jenzer hat Gastronomen eingeladen, das Rind neu zu entdecken.


Der Arlesheimer Metzgermeister Christoph Jenzer führt in einem Nose-to-Tail-Kurs vor, wie ein halbes Rind zerlegt wird und gibt Tipps zur Verwendung und Zubereitung seiner Insiderstücke. (Bild zvg)


Metzger und Gastronomen stehen heute vor der Herausforderung, auch weniger beliebte Fleischstücke erfolgreich zu vermarkten. Doch dies kann nur dann für beide Seiten gleichermassen gelingen, wenn Metzger und Gastronomen sich zu ihren Herausforderungen, Bedürfnissen und Möglichkeiten austauschen. Aus diesem Grund hat Christoph Jenzer im Rahmen eines Rindfleisch-Insiderkurses am 14. November 20 Gastronomen aus der Region in seinen Betrieb in Arlesheim eingeladen. Mit Insiderstücke sind Stücke gemeint, die eigentlich toll schmecken, aber wenig Absatz finden, weil sie nicht bekannt oder weniger beliebt sind, z.B. „aus der Mode“ gekommen oder schwieriger zuzubereiten. Für Jenzer sind dies (vom Rind) beispielsweise Onglet, Federstück (als Chuck Short Rib) oder Eckstück.

Wurstfleisch oder Spare-Ribs?

Zu Beginn des Kurses wurde in der Fleischwerkstatt von Jenzer Fleisch und Feinkost ein halbes Rind zerlegt. Das Ausbeinen ist eine Frage der Balance. Es gilt den Ausgleich zu finden zwischen Arbeitsaufwand und somit Lohnkosten einerseits und Fleischausbeute auf der anderen Seite. „Früher war Fleisch sehr wertvoll und die Lohnkosten tief“, erzählt Jenzer. So konnten die Knochen sehr präzise ausgelöst werden. Heute haben einige Stücke stark an Wert verloren. Nicht immer ist es möglich, die Arbeit so gründlich zu machen wie beim Filet, wo sich die Arbeit für jedes Gramm Fleisch lohnt.

Auch die Anforderungen ans Aussehen des Fleisches haben sich über die Jahre verändert. Früher beispielsweise wurden die Knochen beim Hohrücken minutiös ausgelöst. Und es wurde akzeptiert, dass Teile dieses Fleisches am Hohrücken bleiben. Heute wird dagegen ein gerader Schnitt verlangt.

Das Fleisch, das zwischen den Knochen liegt, endet somit als Wurstfleisch - mit entsprechendem Wertverlust. Diese Entwicklung hat Jenzer vor zwei Jahren dazu bewegt, ein neues Produkt zu lancieren: Spare-Ribs vom Rind.

Enger Austausch zwischen Metzger und Gastronom

Spare-Ribs vom Schwein sind in der Schweiz schon seit einigen Jahren bekannt – und sehr begehrt. Auch bei Jenzer herrscht eine ständige Knappheit. An gleicher Stelle beim Rind hingegen wird das Fleisch vom Knochen gelöst und als Wurstfleisch verwendet, die Knochen entsorgt. So kam die Idee der Spare-Ribs vom Rind. Damit kann auf der einen Seite das ursprünglich als Wurstfleisch verkaufte Fleisch aufgewertet werden.



Rindsrippe


Auf der anderen Seite wird eine Alternative zu den beliebten Schweins-Spare-Ribs geboten. Aufgrund der tieferen Nachfrage ist der Preis der Rinds-Spare-Ribs derzeit noch tiefer als das entsprechende Produkt vom Schwein, das macht sie attraktiv. „Wenn aber plötzlich zwei oder drei meiner Kunden aus der Gastronomie solche speziellen Stücke ins Menü aufnehmen, ist es wichtig, dass wir uns absprechen und vorausplanen können“, so Jenzer. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Metzger und Gastronom ist deshalb als wichtiger Ansatzpunkt zu sehen.

Tierische Fette statt Palmöl

Eine nach wie vor bestehende Herausforderung für den Metzger ist der anfallende Fettanteil. Zwar sind Tiere mit einem höheren Fettanteil in Bezug auf Qualität und Geschmack solchen mit magerem Fleisch vorzuziehen. Jedoch hat man bei diesen Tieren einen entsprechend kleineren Fleischanteil und Fett lässt sich nicht verkaufen. Das Fett wird verbrannt, der Metzger zahlt die Entsorgungskosten. Früher war das anders, denn Fett war aufgrund des hohen Energiewerts sehr begehrt. Heute wird bei immer mehr Produkten auf die Zugabe tierischer Fette verzichtet, zugunsten einer vegetarischen Herstellungsweise. Eine beliebte pflanzliche Alternative: Palmöl.


Raffael Jenzer, Sohn von Christoph Jenzer und sein Lehrkollege Tobias Baumann entwickelten aus Legehennenfleisch und -Leber eine Pastete. Auch für den Pastetenteig verwenden sie kein ökologisch umstrittenes Palmöl sondern Schweinefett vom Freilandsäuli.


So hat auch Jenzers Pastetenteig-Hersteller vor ein paar Jahren auf vegetarischen Teig umgestellt. Jenzer hat darauf einen anderen Bäcker gesucht, der für ihn Pastetenteig mit Schweinefett produziert. Der nächste Schritt für Jenzer: Das Schweinefett für den Pastetenteig selbst zu liefern. Denn die Verwendung solcher Nebenprodukte ist nicht nur für den Metzger von Vorteil, sondern auch für die Kunden. Das gilt auch für Innereien, die aufgrund mangelnder Nachfrage teilweise entsorgt werden müssen, wie beispielsweise Rindskutteln oder Kalbsnieren. „Wenn solche Nebenprodukte wieder mehr Wert haben, können wir dafür Fleisch wieder etwas günstiger verkaufen“, so Jenzer.

Weitere Kurse folgen

Zum Abschluss des Rindfleisch-Insiderkurses gab es eine Führung durch den Familienbetrieb gefolgt von der Degustation der vorgängig präsentierten Insiderstücke. Das bestätigt: Die Alternativen zu Filet und Entrecôte sind nicht nur preislich, sondern auch geschmacklich äusserst spannend. Christoph Jenzer ist vom Format der Veranstaltung überzeugt: „Wir sind ein innovativer Betrieb der ständig daran arbeitet, Stücke, die gerade weniger bekannt oder beliebt sind, aufzuwerten. Und die Gastronomie ist immer auf der Suche nach neuen Produktideen.“ Eine perfekte Ergänzung also, die vor allem eins erfordert: Austausch. Siehe auch www.proviande.ch/sf (Text: Markus Hurschler)



Währschafter Klassiker: Schweins-Haxe



Vom Pharmarohstoff bis zum Biogas

Fast alle Organe der Tiere werden sinnvoll genutzt, wenn nicht direkt kulinarisch so doch für andere Zwecke wie als Rohstoff für die Pharmaindustrie: Aus Schweine-Knorpel werden Wirkstoffe (Chondritin, Glucosamin, Hyaluronsäure) extrahiert für die Verwendung in Arthrosemedikamenten. Aus Darmschleim von Schweinen wird Heparin extrahiert, das in Thrombose-Medikamenten zum Einsatz kommen. Aus Knochen wird Protein für die Herstellung von Gelatine gewonnen, einem natürlichen Geliermittel ohne E-Nummer. Aus überschüssigen Innereien entsteht Haustierfutter. Überschüssiges Blut ist eine Zutat für Fischfutter oder liefert Biogas. Aus Klauen und Federn entsteht Dünger, und Hornsubstanz ist ein Rohstoff für Knöpfe und Kämme.

Ein besonderes Kapitel sind die tierischen Fette, früher begehrt, später verpönt und nun seit zwei Jahren von den Ernährungswissenschaftern wieder rehabilitiert. "Der kluge Mann verehrt das Schwein, doch er denkt an dessen Zweck, von aussen ist es ja nicht fein, doch drinnen sitzt der Speck" reimte schon Wilhelm Busch. Geschmacklich sind auch Rinder- und Geflügelfett sehr attraktiv und bieten technologisch grosse Vorteile. Schweinefett als Beispiel verbessert die Frischhaltung von Brot. Aber nur ein kleiner Teil der tierischen Fette können mangels Nachfrage derzeit als Lebensmittel verwendet werden. Mehrheitlich werden sie heute in der Nutztierfütterung eingesetzt.

Doch langsam zeigt der Kampf gegen alte Vorurteile ihre Wirkung: Centravo erwartet künftig eine höhere Nachfrage nach tierischen Fetten (Bild: Schweineschmalz von Nutriswiss) für die menschliche Ernährung und auch nach Schlachtnebenprodukten für den Export. Demnächst baut sie für deren Verarbeitung in Oensingen ein neues Werk, die Nutrivalor (www.nutrivalor.ch), und in Lyss ein Lebensmittel-Veredelungszentrum mit einer neuen Fettschmelze.

Auch Proviande gründete ein Projekt namens «Nose to Tail», das die integrale Verwertung der Schlachttiere anstrebt. «Als wertvolles Lebensmittel soll Fleisch zum grösstmöglichen Teil dem menschlichen Konsum (Food) dienen und so wenig wie möglich als Tierfutter (Feed) oder Energierohstoff (Energy) eingesetzt werden. Demnach gilt das für den menschlichen Konsum bestimmte Fleisch, welches jedoch als Feed oder Energy endet, auch als Fleischverlust. Die optimal mögliche Verwertung als Lebensmittel wird dabei angestrebt» ist auf der Proviandewebsite zu lesen.

Das Projekt wird vom Bundesamt für Landwirtschaft im Rahmen der Förderung der Qualität und Nachhaltigkeit in der Land- und Ernährungswirtschaft unterstützt. «Nose to Tail» bezweckt also eine Aufwertung der heute deklassierten Nebenprodukte für die menschliche Ernährung. Oder einen höheren Anteil der kulinarischen Nutzung dort, wo beide Nutzungsformen vorkommen.

Nose to Tail in der Praxis

Die heutige ausgedehnte Nutztierhaltung als Folge der weltweit hohen Fleisch- und Milchprodukte-Nachfrage steht seit einigen Jahren ökologisch in der Kritik, daher ist es nötig und sinnvoll, die Tierkörper so vollständig wie möglich für die menschliche Ernährung zu nutzen. Nur Edelstücke herauszuschneiden und den Rest als Food Waste zu behandel - krass gesagt - ist ausserdem unethisch. Gastronomen, Metzgereien und einige Supermärkte entdecken daher das «Nose to Tail»-Konzept als ein Teilziel ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und dies mit einer angenehmen ökonomischen Nebenwirkung. Essbare Komponenten sollten in der Tat gegessen und nicht entsorgt werden, auch wenn ihre Zubereitung mehr Knowhow und Aufwand bedeutet.



Schweinsfuss, 3 Std bei 180 Grad im Ofen geschmort, halb glaciert, halb paniert: eine Kreation der Spitzenköching Irma Dürsch aus ihrem Buch «Festtagsrezepte».


Im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie setzt sich z.B. die Micarna-Gruppe messbare Ziele. «Einerseits wollen wir die Lebensmittelverluste bis 2020 um 15% senken und andererseits eine möglichst hochwertige Nutzung aller Nebenprodukte anstreben», sagt Christina Marschall, Leiterin Nachhaltigkeit der Micarna-Gruppe. «Lebensmittelverluste konnten wir dank unterschiedlicher Anstrengungen vermindern und die Wertigkeit von weniger nachgefragten Stücken dank innovativen Artikeln erhöhen». Ein Beispiel: Im Geflügelbereich wird heute mit Abstand am stärksten die Pouletbrust nachgefragt, weniger jedoch Pouletschenkel oder Pouletflügeli. Deren hochwertiges Fleisch wird heute über innovative und sehr beliebte Produkte wie Geflügel-Rollbraten, -hackbraten und -wurstwaren veredelt.
(gb)

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