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Indien kulinarisch betrachtet
Indien weist kulinarisch einige spannende Besonderheiten auf wie der hohe Vegi-Anteil, das Rindfleisch-Tabu und die Ayurveda-Lehre. Bericht in zwei Teilen: Teil 1: Fleisch und Vegetarismus. Teil 2 demnächst: Gewürze.

Indien ist das Partnerland der Anuga 2017, der weltgrössten Foodfachmesse im Oktober in Köln. Grund genug, das grosse Land kulinarisch zu durchleuchten, das einige interessante Besonderheiten aufweist. Mit der weltweit berühmten Küche ist Indien eine ideale Besetzung für die Rolle als Anuga-Partnerland (www.anuga.de). Zu den indischen Exportgütern zählen neben Tee und Gewürzen vor allem Reis, Getreide und Hülsenfrüchte. Neben einer grossen Bandbreite an vegetarischen Produkten gibt es zahlreiche fleisch- oder fischbasierte Speisen.

Der grosse Facettenreichtum der indischen Lebensmittel ist durch die Vielfalt der Regionen bedingt. Zutaten und Zubereitungsweisen können stark variieren. So wie die indische Küche Einflüsse anderer Völker und Traditionen im Laufe ihrer Geschichte aufnahm und weiterentwickelte, so inspirierte das Land umgekehrt die Küchen rund um die Welt. Heutzutage gibt es zahlreiche indische Restaurants und sogar indische Fertiggerichte in Supermärkten in ganz Europa. Das kulinarische Indien erlangte vor ungefähr 30 Jahren Popularität in der westlichen Welt, hauptsächlich durch Tourismus und Migration.

Oft scharf aber ausgewogen

Die indische Küche kennt sechs Geschmackstypen: süss, sauer, salzig, würzig (umami), bitter und adstringierend, dies analog zu den fünf sensorischen Kategorien, die aber den adstringierenden Typ, basierend auf Gerbstoffen, nicht dazu zählen. Und die Chilischärfe gilt nicht als Geschmack- sondern als Schmerz-Empfindung. Eine Mahlzeit in Indien gilt dann als gelungen, wenn alle diese Geschmäcker ausgewogen vorkommen.



Indisches Essen fehlt heute an keinem Streetfood-Festival


Dieser Grundsatz sowie die Gewürzproduktion im eigenen Land erklären den Gebrauch der zahlreichen Gewürze und des intensiven, oft scharfen Geschmacks indischer Gerichte. Oft sind es regelrechte Gewürz-Feuerwerke, und der überforderte Gaumen kann dabei keine einzelnen Aromen mehr wahrnehmen. Dies im Gegensatz zur westlichen Kulinarik-Kunst, die heute den Eigengeschmack von edlen Komponenten fördert oder einem einzelnen Gewürz eine Favoritenrolle verleiht.

Ayurveda: Ernährung im Gleichgewicht

Die Ausgewogenheit ist auch zentral beim Kernstücke der ganzheitlichen Gesundheit in Indien, der Ayurveda-Ernährungslehre. Abgestimmt auf den jeweiligen Konstitutionstypen sorgen die passenden Lebensmittel für einen gesunden Körper und einen ausgeglichenen Geist. Die traditionelle Ayurveda lässt sich als das Wissen (veda) vom langen Leben (ayur) übersetzten. Das ganzheitliche System, das Massagen, spezielle Reinigungskuren (Panchakarma), Körperübungen (Yoga) und als wichtigstes Element die Ernährungslehre umfasst, soll die Körperfunktionen (Stoffwechsel, Verdauung, Gewebe und Aussscheidung) in Ausgewogenheit halten, um keine Krankheiten entstehen zu lassen.

Und es gibt Regeln für die Kombination von Nahrungsmitteln: Vor allem soll man keine tierischen Eiweisse kombinieren, da dies zu Stoffwechselschlacken führt. Milch wird als eigenständiges Nahrungsmittel betrachtet, das weder mit Salzigen noch Saurem, Blattgemüse und vor allem nicht mit frischen Früchten zusammen verzehrt werden soll. In Kombination mit Milch eignen sich in ayurvedischer Hinsicht nur Hülsenfrüchte. Obst ist generell alleine zu verspeisen. Eine Ausnahme bildet Reis, der als leichtes Lebensmittel zu allem passt. Generell sollte man nur bei Hunger essen und auf Zwischenmahlzeiten komplett verzichten. Auch empfielt es sich keine kalten Getränke zu heissen Speisen zu sich zu nehmen, sondern diese durch temperiertes Wasser oder warmen Tee zu ersetzten.

Vegetarismus je nach Kaste

Jede Region Indiens hat eigene Spezialitäten, Würzungen, Zubereitungen und Traditionen. So sind im Norden Fleischgerichte besonders wichtig, und die dortige Küche ist die bei uns bekannteste. Gerichte mit Lamm-, Ziegen- oder Pouletfleisch werden meist mit Milchprodukten wie Joghurt oder Ghi (bzw Gee, d.h. Butterschmalz) kombiniert und mit Reis serviert. Die bekanntesten sind kräftige Mughal-Currys oder Tandoori-Rezepte. Charakteristisch für die nordindische Küche ist auch die geringere Schärfe und die saucenartige Konsistenz der Speisen.


Vegetarisches Black Curry im Vegi-Restaurant Hiltl, das auf exotische Gerichte spezialisiert ist.


Die bemerkenswerteste Besonderheit der Ernährung in Indien ist der traditionell hohe Anteil an Vegetariern aufgrund von kulturellen und religiösen Einflüssen. So sind im Hinduismus vegetarische Speisen verbreitet und vor allem ist Rindfleisch tabu, weil die Kuh als heilig gilt. Fleisch ist allgemein in der indischen Küche nicht sehr wichtig, nur Poulet ist in allen Gesellschaftsschichten und unabhängig von der Religion sehr beliebt. Die Welternährungsorganisation FAO ermittelte für Indien einen Fleischkonsum von 5.1 Kilo pro Kopf und Jahr. Nur noch im Nachbarland Bangladesch ist er mit 3.1 Kilo noch tiefer. Zum Vergleich: der globale Durchschnittskonsum liegt bei 41 Kilogramm, derjenige der Schweiz bei 51 Kilo.

Etwa 40 Prozent der Inder auf dem Subkontinent mit seinen 1,25 Milliarden Menschen bezeichnen sich gemäss einem Bericht von «welt.de» als Vegetarier. Dies tat auch der bekannteste Inder, Mahatma Gandhi. Obwohl der Vegetarier-Anteil langsam zurückgeht, sind die Vorbehalte gegen Fleisch bei vielen Indern – vor allem Hindus, Buddhisten und Jains – so gross, dass sich selbst Hamburger-Ketten anpassen. McDonald’s eröffnete 2014 ein vollkommen vegetarisches Restaurant in Amritsar vor dem Goldenen Tempel, denn die Sikh-Religio erlaubt keinen Fleischverzehr an ihrem heiligen Schrein.

Als Kuh wiedergeboren

Dabei kennen Inder weitere Unterschiede: Es gibt solche, die keine Eier essen, andere lehnen Milchprodukte ab oder essen nur Poulet oder Fisch. «Viele Nahrungstabus lassen sich auf den Glauben zurückführen», erklärt die Kulturhistorikerin Navina Java. Hindus, die etwa 80 Prozent der Bevölkerung Indiens ausmachen, glauben an die Wiedergeburt. Nach hinduistischer Vorstellung besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele, die sich nach dem Tode des Körpers in einem neuen Wesen – einem Menschen, Tier oder Gott – wieder verkörpert. In welcher Art von Wesen, hängt von den Taten in vorherigen Existenzen ab. Töten zum Zweck der Fleischgewinnung gilt daher als Sünde.



Hindus glauben, dass ein Brahmane, der ohne Sünden lebte, als Kuh wiedergeboren wird.


Vegetarier sind in allen Bevölkerungsschichten zu finden, vor allen aber bei den Brahmanen, der höchsten Kaste. Ein Dogma ist der Vegetarismus allerdings nicht für Hindus. Besonders die Dalits in der niedrigsten Kaste essen Rindfleisch mit steigender Tendenz gemäss einem Bericht der Allgemeinen Frankfurter Zeitung. Junge und gebildete Inder in Grossstädten würden ebenfalls gern Rindfleisch essen und es sich heimlich nach Hause liefern lassen.

Hindus fügen Tieren nach Möglichkeit kein Leid zu, denn nach ihrem Glauben wohnt Gott in jedem Lebewesen. Das Tierwohl sei aber nicht die Hauptmotivation für den Respekt vor den Tieren, meint die Soziologin Patricia Uberoi, beispielsweise würden Inder durchaus Strassenhunde treten. Viel wichtiger seien die uralten Theorien von heisser und kalter Nahrung. Bestimmtes Essen, so der Glaube, erhitze die Gemüter, und sei deswegen nur für körperlich hart arbeitende Menschen geeignet. „Zentral ist auch die Idee, dass der heimische Herd rein bleiben muss“, so Uberoi. Traditionell hätten die Männer in Nordindien erlegtes Wild draussen gegessen, und auch heute werde oft daheim vegetarisch gekocht, im Restaurant jedoch Fleisch bestellt.

Warum sind Hindus Kühe heilig?

Traditionell schlachten Hindus keine Rinder, der Verzehr von Rindfleisch ist ein Nahrungstabu. Kühe, die keine Milch mehr geben, werden meistens bis zu ihrem natürlichen Tod gefüttert. Der wirtschaftliche Druck ist auf dem Land jedoch sehr stark. Darum kommt es vor, dass Bauern unproduktive Tiere bei einem „Unfall“ sterben lassen oder sie für wenig Geld verkaufen. In den meisten indischen Bundesstaaten ist das Töten von Kühen gesetzlich verboten. In Westbengalen und Assam ist das Schlachten von Rindern über 14 Jahren, die nicht mehr als Nutztier zu gebrauchen sind, sowie verletzten Tieren erlaubt. Grund dafür dürfte die wirtschaftlich wichtige Lederindustrie sein.

Den Hindus sind Rinder heilig, weil sich in ihnen Gottheiten zeigen sollen und weil Kühe die Menschen mit fünf lebensnotwendigen Dingen versorgen:
•Ghee d.h. Butterschmalz aus Kuhmilch zum Kochen.
•Milch wird oft mit Tee getrunken (Chai).
•Joghurt und Joghurtdrink Lassi
•Mist: Die getrockneten Kuhfladen dienen als Brennmaterial.
•Urin: Viele Hindus verwenden ihn als Heilmittel.
(GB)
(gb)

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