„Alte Wahrheiten wie ‚Fleisch als ein Stück Lebenskraft‘ verlieren an Bedeutung. An deren Stelle treten neue Werte, oft kleiner Mehrheiten, die einer pflanzenbasierten Ernährung Aufwind verschaffen,“ sagt Dr. Silke Lichtenstein, Geschäftsführerin der Dr. Rainer Wild-Stiftung. Ein Umdenken scheint dringend notwendig, denn die Produktions- und Konsumweisen der westlichen Welt tragen eine Mitschuld am Klimawandel. „Insgesamt ist die Ernährung für etwa 25 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich“, betont Dr. Guido Reinhardt vom ifeu-Institut. „Betrachtet man die weltweit sehr begrenzten Rohstoffe Wasser, Fläche und Phosphat, werden sogar 80 bis 90 Prozent dieser Ressourcen alleine durch die Ernährung verbraucht.“
Doch wie ist eine Ernährungstransformation voranzutreiben? Durch pflanzliche Milch- und Fleischersatzprodukte? Die geniessen zwar in den Medien viel Aufmerksamkeit, doch ihr Marktanteil ist gering: 1,9 Prozent bei Milch- und 0,7 Prozent bei Fleischersatzprodukten in Deutschland.
Oder durch neue Entwicklungen der Biotechnologie? Hier entwickelt sich gerade eine Industrie, die im Labor Lebensmittel aus tierischen oder pflanzlichen Zellen herstellt. „Cultured Meat“ ist teils bereits zugelassen, aber häufig noch zu teuer und damit in der Breite nicht marktreif. Die Forschung beschäftigt sich auch mit Proteinmehlen auf Basis von Algen oder Insekten. Die können sehr nachhaltig erzeugt werden, müssen den Menschen aber buchstäblich erst schmackhaft gemacht werden.
Mit welchen Hebeln könnte man also den Wandel vorantreiben und wie lassen sich möglichst viele Menschen mitnehmen? Dazu steuerten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen ihre Erkenntnisse bei. Sicherlich nicht durch eine Kommunikation, die mit Begriffen wie Ersatz, Verzicht oder gar Verbot arbeite. Das zeige die mediale Berichterstattung zu den Eckpunkten der geplanten Nationalen Ernährungsstrategie – und zwar mit Headlines wie „Wird Fleisch zum Luxus?“.
Die Soziologin Prof. Jana Rückert-John erläutert, warum das verfängt: Viele Menschen empfänden die Erwartungshaltung, ihre alltäglichen Ernährungspraktiken zu verändern, als Zumutung. Essen und Trinken seien Ausdruck ihrer Selbstbestimmung. Sie gelten als letztes privates Recht, in das sich der Staat nicht einzumischen habe. Kommunikativ sei daher zentral, so die weithin geteilte Einschätzung der Expertinnen und Experten, positive Narrationen zu schaffen. Veränderung ist Chance: mehr Pflanze auf dem Teller als Ausdruck von Vielfalt, Kreativität und Geschmack.
Fest steht: Die eine Lösung gibt es nicht, und die Zeit drängt. Daher müssen mehrere Ansätze überprüft und Hebel gleichzeitig betätigt werden. Idealerweise zuerst jene, die effizient die grössten Probleme angehen. Eine motivierende Kommunikation muss sie in jedem Fall begleiten: „Für den Wandel ist wichtig, dass wir nicht nur die Risiken durch Ernährung sehen, sondern ihre Potenziale für die Transformation in den Vordergrund rücken“, betont Dr. Silke Lichtenstein. Und dafür gibt es zweifellos offene Ohren auch jenseits der Personen, die sich flexitarisch ernähren.
(BZfE)
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