Nachhaltige Verpackungen und innovative Lebensmittel stellen Unternehmen vor Herausforderungen: Ein neues Tiefkühlprodukt beispielsweise ist in etwa sechs Monaten marktreif, doch seine Lagerfähigkeit noch nicht erprobt. Wird es nach sechs, acht oder zwölf Monaten im Gefrierschrank noch die gleiche Qualität und Geschmack aufweisen? In Realzeit kann dies nicht getestet werden, wenn das Produkt schnell in den Verkauf gehen soll. Für neuartige Produkte, etwa vegane Alternativen, fehlen zudem Vergleichswerte.
Als Alternative zu Realtests (RSLT) bieten sich verkürzte Haltbarkeits- und Lagertests, sogenannte Accelerated Shelf-life Tests (ASLT), an. Diese lassen Lebensmittel im Zeitraffer altern, etwa indem die Lagertemperatur erhöht oder die Oxidation durch Sauerstoffzugabe bzw. starken Lichteinfluss beschleunigt wird.
Lebensmittelverschwendung mindern
Viele Verbraucher halten Lebensmittel für verdorben, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. 59 Prozent der Lebensmittelverschwendung findet im Haushalt statt, dies entspricht jährlich 6,5 Millionen Tonnen an Nahrung, die im Mülleimer landet. 36 Prozent davon ist darauf zurückzuführen, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Offenbar wird es häufig falsch interpretiert.
Sind Lebensmitteltester anspruchsvoller als Verbraucher? Sind sie besonders kritisch, was Geschmacksveränderungen durch Lagerung angeht und werten die Lebensmittelqualitäten eher ab? Christoph Sippel, Vorsitzender des DLG-Ausschusses Sensorik und Business Development Manager bei der Eurofins Analytik GmbH, zeigte am DLG-Lebensmitteltag Sensorik kürzlich auf, dass es dazu keine einfachen Antworten gibt. Profi-Sensoriker sind auch auf Fehlaromen geschult. Aber auch einige Verbrauchergruppen sind besonders sensibel und nehmen Veränderungen in Geschmack, Geruch, Aussehen und Textur eher wahr als andere.
Labordaten könnten objektive Anhaltspunkte geben, wie lange sich ein Produkt hält. Allerdings schwankt die Qualität von Lebensmitteln je nach Ernte und Jahrgang. Sippel fasste zusammen: „Die Analysen von Lebensmitteln im Labor liefern zuverlässige Ergebnisse, aber die Herausforderung liegt in ihrer Interpretation.“ Um ein Mindesthaltbarkeitsdatum sicher festzulegen, sind neben den Labordaten stets weitere Parameter, wie etwa Ergebnisse der Sensorik oder mikrobiologischer Tests zu berücksichtigen.
Mathematische Vorhersagemodelle
Ein anderer Weg, das Mindesthaltbarkeitsdatum zu bestimmen, liegt in rechnerischen Prognose- oder Vorhersagemodellen, an denen etwa das Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising forscht. Dr. Matthias Reinelt, Gruppenleitung Haltbarkeits- und Verpackungsmodellierung am IVV, erläuterte, wie „digitale Schatten“ von Milch, Kaffee, Olivenöl, Erdbeeren und vielen anderen Lebensmitteln errechnet werden.
Diese digitalen Schatten liefern auf rein mathematischem Weg Aussagen, wie sich das Produkt im Laufe der Zeit verändern wird, so dass sich Haltbarkeiten ermitteln lassen. Diese Daten können etwa genutzt werden, um Qualitätsveränderungen bei der Umstellung einer Verpackung zu simulieren. Erfolgskritisch ist diesbezüglich das Datenmaterial, das den mathematischen Modellen zugrunde liegt.
Elektronische Nasen und Zungen
Sensorik Panels zu schulen ist zeitaufwendig und teuer. Was wäre, wenn künstliche Nasen, Zungen und Hände Sensorik-Tests durchführen könnten? Das ist bereits machbar. Die Winopal Forschungsbedarf GmbH vertreibt Labor- und Messgeräte, die mittels Sensoren physikalische Daten in menschliche Sinneseindrücke übersetzen. Dipl. Ing. Jens Hannibal, Application Manager bei Winopal, hob hervor: „Die Sensoren können bisher immer lediglich Werte für einen Parameter erheben, während klassische Panels alle Sinneseindrücke gemeinsam, also multisensorisch, erleben.“
Die Vorteile der elektronischen Messung liegen darin, dass die Ergebnisse stets objektiv sind und die Geräte rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Einige Systeme können inzwischen sogar selbsttätig lernen, doch muss der Mensch stets, auch über eine Kalibrierung, festlegen, welche Standards anzustreben sind.
Smart Labels zum dynamischen MHD
Was wäre, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum gleitend und automatisch festgelegt werden würde? Wird eine Flasche O-Saft zwei Wochen ungeöffnet im Kühlschrank aufbewahrt, bleibt der Inhalt länger frisch, als wenn sie geöffnet im Wohnzimmer steht. Neue Technologien erlauben es, die Umstände der Lagerung mit einzubeziehen, um ein Mindesthaltbarkeitsdatum exakt zu bestimmen. Die PolyTaksys GmbH hat das Label U4Food entwickelt, einen elektronischen Nanofeldprozessor in Form eines Aufklebers, der produktspezifisch programmiert, nach und nach einzelne Informationen freigibt. Er misst Temperatur, Zeit und Feuchtigkeit.
Aufgrund dieser Daten könnte das Label ein Mindesthaltbarkeitsdatum flexibel anzeigen und etwa in Form einer Ampel von grün über gelb auf rot schalten, um einen baldigen Verbrauch anzuregen. „Der Sicherheitspuffer des Mindesthaltbarkeitsdatums könnte so verringert werden“, erklärt Torsten Münich, Geschäftsführer des Start-ups. „Das würde die Lebensmittelverschwendung reduzieren.“ Noch ist allerdings ein flexibles Mindesthaltbarkeitsdatum in Deutschland rechtlich nicht zugelassen.
Technik kann Menschen nicht ersetzen
Der DLG Lebensmitteltag Sensorik zeigte die Möglichkeiten der Technik, um Innovationen voranzutreiben und Haltbarkeiten schnell und verlässlich zu ermitteln. Dies auch durch die von Robert Lobmaier und Dario Schaumburg von SensoPLUS durchgeführte Online-Verkostung eines simulierten ASLT für Chips. Doch: „Trotz Smart Teamworking ist der Mensch nicht ersetzbar“, fasste Bianca Schneider-Häder, Projektleiterin im DLG-Fachzentrum Lebensmittel in Frankfurt zusammen. „Mit unserem Fachwissen und vernetzten Denken müssen wir stets dafür sorgen, die richtigen Daten zu erheben, die passenden Methoden auszuwählen, die Ergebnisse zu interpretieren und die Massnahmen in der Praxis gezielt einzuleiten.“
Wiener Schnitzel für ASLT geeignet
Der Hersteller von Tiefkühlkost bofrost* führt beschleunigte Lagertests durch. Anna Fenkes, Expert Benchmarking und Sensorik von der bofrost* Dienstleistungs GmbH & Co. KG, zeigte Ergebnisse der künstlich beschleunigten Lagerung von tiefgekühltem Wiener Schnitzel und Eiswaffeln. Gemeinsam mit der Hochschule Fulda wurde getestet, wie sich diese Produkte verändern, wenn sie schwankenden Temperaturen ausgesetzt waren. Die Verkostungen durch Sensorik-Panel wurden teilweise ergänzt durch Analysen mit dem Texture Analyser.
Das Ergebnis: Die Eiswaffeln wurden bei der beschleunigten Lagerung weich, das Eis war weniger cremig. Der ermittelte ASLT muss noch weiter optimiert werden. Wiener Schnitzel hingegen hielten sensorisch einer verkürzten Lagerung stand, so dass bei diesen Produkten mit „Schnellmethoden zur Haltbarkeitsermittlung“ gearbeitet werden kann. „In der Entwicklung sind ASLTs zunächst sehr aufwendig, bevor sie standardmässig einsetzbar sind. Zudem müssen sie stets an die Unternehmensbedingungen angepasst werden“, so Anna Fenkes. (DLG)
(gb)