Schweizer Urdinkel wurde vom damaligen Brotgetreide Nummer 1 zum Mauerblümchen – hat sich in den letzten 20 Jahren aber wieder zurück in die Regale gekämpft. Die Mehlverkäufe des Schweizer Getreides Urdinkel haben im Pandemiejahr 2020 gegenüber 2019 sogar um 40 Prozent zugenommen.
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Noch Anfang des 20. Jahrhunderts betrug die Dinkelanbaufläche in der Schweiz rund 16’000 Hektaren. Mit fortschreitender Mechanisierung und dem wachsenden Anbau von Weizen geriet das Getreide in Vergessenheit. Mitte der 1990er-Jahre wurde aber der Turnaround eingeläutet und heute ist Dinkel wieder voll im Trend – die Coronaviruspandemie hat den Effekt noch verstärkt.
«Dinkel überlebte die Baisse in Randgebieten des Getreideanbaus, die man unter anderem in den niederschlagsreichen Gegenden der Kantone Bern, Aargau und Luzern fand», erzählt Thomas Kurth, Geschäftsführer der IG Dinkel. Der Anbau habe sich seither auf das ganze Deutschschweizer Mittelland ausgeweitet und aktuell weite sich der Anbau auch auf extensive Getreidebetriebe in der Westschweiz aus. Gerade der Urdinkel-Anbau wachse nun schon seit Jahren stetig zwischen fünf bis zehn Prozent pro Jahr: «Für die Ernte 2021 rechnen wir mit rund 4’500 Hektaren Urdinkel und einer Gesamt-Dinkelproduktion von 6’500 Hektaren.»
Der sogenannte Schweizer Urdinkel (als eingetragene Marke stilisiert UrDinkel) steht für Dinkel aus vorgegebenem Anbau. Es sind dies die beiden Sorten Oberkulmer Rotkorn und Ostro – ausschliesslich alte und reine Schweizer Dinkelsorten, die bis heute nie mit modernen Weizensorten gekreuzt wurden. Die beiden Sorten zeichnen sich durch ausgesprochen lange Halme aus, was allerdings die Standfestigkeit beeinträchtigt.
Bei der Züchtung von modernen Dinkelsorten wurden die Halme seither durch Einkreuzung mit Weizen verkürzt, was dichtere Saatbestände und höhere Erträge möglich macht. Beim Anbau von Oberkulmer Rotkorn und Ostro darf wegen der langen Halme kaum organischer oder mineralischer Dünger eingesetzt werden – die Halme würden sonst bereits vor der Blüte knicken. Entsprechend ist allerdings auch das Ertragspotential pro Fläche niedriger als bei modernen Dinkel-Weizen-Kreuzungen.
Die alten und langhalmigen Sorten Ostro und Oberkulmer Rotkorn enthalten ausserdem viel Kleberprotein, das die Teige weich und dehnbar, aber unelastisch macht. Teige aus Urdinkel neigen ausserdem zum Breitlaufen und erfordern deshalb bei der Verarbeitung Fingerspitzengefühl und spezielle Rezepte – beispielsweise mit Einsatz eines Brühstücks.
Urdinkel verfolgt ökologische, klimafreundliche und soziale Ziele, indem ausschliesslich extensiv angebaut und in regionalen Mühlen dezentral verarbeitet wird.
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Mit der Marke UrDinkel geht ein verbindliches Pflichtenheft einher, dass den Anbau, die Verarbeitung und die Deklaration regelt. «Urdinkel beinhaltet unter anderem ökologische, klimafreundliche und soziale Ansprüche, indem ausschliesslich unter den Labels IP-Suisse und Bio-Suisse-Knospe extensiv angebaut und in regionalen Röllmühlen dezentral verarbeitet wird», verdeutlicht Thomas Kurth. Ausserdem darf der Urdinkel ausschliesslich in angestammten Schweizer Anbaugebieten angebaut werden.
So werden die Transportwege vom Feld zur Mühle verkürzt und die regionale Verarbeitung sowie die damit einhergehende Wertschöpfung in ländlichen Regionen erhalten.
Daneben wird mit der Marke UrDinkel auch die grösstmögliche Reinheit in Produkten garantiert. Weil eine hundertprozentige Reinheitsgarantie in der Wertschöpfungskette allerdings nicht umsetzbar ist, gibt es einen Toleranzwert: Fremdgetreide darf nur in Spuren von maximal 0,9 Prozent enthalten sein und der Zusatz von Weizengluten wird nicht toleriert. «Im Gegensatz dazu reicht bei einen herkömmlichen Dinkelbrot ein Dinkelanteil von über 50 Prozent aus», erklärt Thomas Kurth. Das Pflichtenheft der Marke UrDinkel gleicht dem der ursprungsgeschützten AOC-Zertifizierung, ist allerdings privatrechtlich geschützt.
Bis vor 100 Jahren war Dinkel das Schweizer Hauptbrotgetreide. Es konnte im letzten Jahrhundert züchterisch allerdings wenig verändert und somit nicht auf düngerintensive Hocherträge getrimmt werden. «Die ursprünglichen langstrohigen Sorten müssen nach wie vor extensiv angebaut werden und sie haben dadurch ein anderes Wachstums- und Abreifeverhalten», erklärt Thomas Kurth.
Auch sei die Protein- beziehungsweise Gluten-Zusammensetzung noch in einem ursprünglicheren Verhältnis und der Anteil Protein und Fett sei höher als bei herkömmlichem Weizen. Im Langzeittrend «Back to the Roots» und im aktuellen Trend zu mehr regionalen, ökologischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln gewinne Dinkel und insbesondere Urdinkel aber seit Jahren Marktanteile: «Allerdings auf einem nach wie vor tiefen Nischenniveau», relativiert Thomas Kurth.
Gerade die aktuell stark gestiegene Nachfrage sei vor allem auch dem pandemiebedingten Lockdown zuzuschreiben. Die Mehlverkäufe im Detailhandel hätten 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent und mehr zugenommen. Wohl, weil man mehr Zeit hatte, selber zu backen, mutmasst Thomas Kurth: «Wir hoffen aber natürlich, dass diese Freude am Backen anhält.»
Wurde im 2020 mehr (Ur-)Dinkelmehl gekauft, weil man mehr Zeit hatte, selber zu backen?
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Dinkel ist so vielseitig einsetzbar wie der Weizen. Es ist jedoch ein zusätzlicher Arbeitsgang, das sogenannte Röllen oder Entspelzen notwendig. Dieser Arbeitsgang mit einer Kerne-Ausbeute von rund 72 Prozent verteuere den Dinkel im Vergleich zu Weizen. «Deshalb wird Dinkel in Spezialitäten eingesetzt, bei denen der Konsument bereit ist, einen Mehrpreis zu bezahlen», erklärt Thomas Kurth.
Mengenmässig werde Dinkel und Urdinkel heute unter anderem zu Mehl für den Detailhandel, für Brot, Zöpfe und Backwaren sowie für Cracker und Biskuits eingesetzt. Und für exklusive Schweizer Pasta – bei Teigwaren kommt sonst hauptsächlich kanadischer Hartweizen zum Zug. Aufkommende Spezialitäten seien auch Pops, Flakes oder das «Kernotto», polierter Urdinkel, der als Reisersatz wie Risotto eingesetzt werde. (LID)
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(gb)