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Report  25.02.2021
Schweizer Weinbranche in der Krise
Das Coronajahr 2020 hat der Schweizer Weinbranche stark zugesetzt, aber den Schweizer Weinen gleichzeitig zu einem besseren Image verholfen.


Die Schliessung der Gastronomie setzt dem Weinsektor stark zu.


Eine emotionale Achterbahn sei das Jahr 2020 gewesen, sagt Jürg Bachofner, Geschäftsführer des Branchenverbandes Deutschschweizer Wein (BDW). «Das Jahr hatte ganz normal angefangen, doch mit dem Lockdown hat sich die Situation rasch verändert», sagt Bachofner. Und als er Mitte Mai die Geschäftsführung des BDW von Robin Haug übernommen hat, war nichts mehr wie es mal war. «Zusammenfassend kann ich jedoch sagen, dass die Schweizer Weinbranche zwar getroffen wurde, aber nicht in dem Ausmass, das man ursprünglich befürchtet hatte», sagt Bachofner. Mittlerweile habe sich gezeigt: ein grosser Teil der Ausfälle in der Gastronomie und durch Absage von Events konnten durch eine Verlagerung in den Privatkonsum kompensiert werden.

Ganz ähnlich erging es auch Hélène Noirjean, Geschäftsführerin des Schweizerischen Weinbauernverbandes (SWBW). Auch sie hat ihr Amt mitten in der Pandemie übernommen. «Ich habe am 1. April beim SWBW angefangen und am 3. April haben wir bereits unseren ersten Brief an den Bundesrat geschickt», sagt Hélène Noirjean. Und ähnlich wie Jürg Bachofner sieht auch sie positive Seiten der Krise. «Die besondere Situation hat zu einer gewissen Einigkeit in der Branche geführt und eine Intensivierung der Beziehungen zu unseren verschiedenen Partnern und zum Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gefördert», sagt Noirjean.

Doch sei der Weinbau zweifelsohne der am stärksten von der Krise betroffene landwirtschaftliche Sektor, betont Noirjean. «Die Schliessung der wichtigsten Vertriebskanäle im Weinsektor haben zur fast vollständigen Blockade des Direktvertriebs geführt», sagt Noirjean. Und auch die Traubenernte 2020 hätte die Winzerbetriebe vor Herausforderungen gestellt, da viele ausländische Arbeitskräfte fehlten.

Fast 6 Millionen Liter Wein deklassiert

Der Bund hat auf den Brief reagiert und eine Deklassierung von AOC-Weinen beschlossen. Heisst: AOC-Weine können zu Land- oder Tafelwein heruntergestuft werden. Damit finden Weinproduzentinnen und -produzenten einfacher Abnehmer für grosse Mengen. Schweizweit hätten über 100 Winzerbetriebe dieses Instrument in Anspruch genommen, sagt Jürg Bachofner. 5'814'494 Liter AOC-Wein sind dadurch deklassiert worden, wie das BLW in einer Mitteilung schreibt.

Das Ziel dieser Massnahme war es, die Bestände aus den Vorjahren zu reduzieren. Ein sinnvolles Vorgehen, findet Hélène Noirjean. Jetzt müssen aber die weinproduzierenden Unternehmen auch von den Lockerungen der Bedingungen profitieren können. um vom Bund als Härtefall anerkannt zu werden, sagt Hélène Noirjean: «Damit können die Kantone grundsätzlich gesunde Unternehmen unterstützen, die durch die Pandemie unverschuldet in eine Notlage geraten sind». Dies gelte ebenfalls für viele Winzerunternehmen, welche Restaurants und Bars sowie Veranstaltungen beliefern.

«Sowohl die wiederholten Schliessungen von Restaurants als auch das Verbot von Veranstaltungen stürzen unsere Branche in eine noch nie dagewesene Krisensituation», sagt Noirjean. Die Pandemie-Massnahmen haben die wichtigsten Absatzkanäle blockiert und damit einen Teil des Umsatzes der Weinbranche et sagt sie. Dieser Umsatz-Würgegriff sei auch mittelfristig sehr beunruhigend. «Unverkaufte Bestände in Kombination mit grossen Einnahmeverlusten könnten zu einer drastischen Reduzierung der Produktion im Jahr 2021 führen», befürchtet Noirjean. Die Covidkrise habe die Situation der Schweizer Weinbauern verschlimmert, deren Branche ohnehin bereits in Schwierigkeiten gesteckt habe, sagt Noirjean.


Die Weinernte 2020 war - wie zum Beispiel in der Region Bielersee - klein, aber fein. In der aktuellen Situation ein Vorteil. Im Detailhandel wurde 2020 laut ersten Schätzungen etwa 20% mehr Wein verkauft als in anderen Jahren - vor allem der Schweizer Wein erlebte dabei einen Aufschwung.


Um einiges positiver ist der Blick von Jürg Bachofner auf die Situation in der Schweizer Weinbranche – im letzten Jahr und auch zu Beginn des neuen Jahres. «Beim Wein kam es durch die Pandemie zu einem ähnlichen Effekt wie bei anderen Produkten: hin zu mehr Regionalität», sagt Bachofner. Wein sei halt letztlich ein nationales Gut, ein Kulturerbe. Darauf hätte sich die Konsumentinnen und Konsumenten im Pandemiejahr anscheinend zurückbesonnen. «In Marktstudien, die wir 2020 durchgeführt haben, haben wir gesehen, dass wir in der Deutschschweiz rund 20 Prozent mehr Schweizer Wein absetzen konnten», sagt Jürg Bachofner.

Mehr Weinverkäufe im Detailhandel

Denner, Coop und Landi Schweiz bestätigen geschlossen die gestiegenen Absätze beim Schweizer Wein. «Die Nachfrage bei Schweizer Weinen ist im letzten Jahr um 30% gestiegen», sagt Ramona Cattaneo, Mediensprecherin von Landi Schweiz. Der positive Trend zu Schweizer Wein setze sich auch im aktuellen Jahr fort.

Auch Denner hat 2020 mehr Schweizer Wein verkauft, wie Thomas Kaderli, Mediensprecher von Denner, bestätigt. In der Pandemie habe sich das Einkaufsverhalten der Kundschaft verändert und zudem habe Denner schon vor der Pandemie - in enger Zusammenarbeit mit Behörden und Vertretern der Weinbranche - den Ausbau des Sortiments an Schweizer Weinen weiter vorangetrieben.

Auch bei Coop Schweiz habe man in den vergangenen Monaten einen Anstieg bei der Nachfrage nach Wein sowie bei anderen alkoholischen Getränken gespürt, sagt Andrea Luca Ruberti, Mediensprecher von Coop Schweiz. Nebst Schweizer Weinen seien vor allem Bio-Weine aktuell sehr gefragt, sagt Ruberti.

Dem Ansehen von Schweizer Wein hat die Pandemie anscheinend nicht geschadet – ganz im Gegenteil. Die kleine, aber feine Traubenernte im Herbst 2020 kommt dem Trend hin zum Schweizer Wein noch zusätzlich entgegen. «Die Ernteerträge lagen 2020 10 bis 40% tiefer als in anderen Jahren», sagt Hélène Noirjean. Doch würden viele Winzerinnen und Winzer durch die fehlenden Absatzkanäle noch grosse Bestände halten. «Bei noch vollen Kellern ist eine kleine Ernte eher ein gutes Zeichen für die Schweizer Weinwirtschaft», sagt Noirjean.

Trotzdem fordere der SWBV vom Bund nicht rückzahlbare finanzielle Hilfen, die Anerkennung von Lieferantenbetreiben als Härtefälle sowie die nötige Flexibilität bei der Umsetzung der Covid-Massnahmen des Bundes, um den Schutz der Schweizer Winzerinnen und Winzer, der Weinberge und Weine in der nach wie vor anhaltenden Krise zu gewährleisten, sagt Hélène Noirjean. «Wir brauchen Rahmenbedingungen, die es den Winzern ermöglichen, von ihrem Beruf weiterhin zu leben», ergänzt sie. Die Wirtschaftskommission des Ständerates (WAK-S) ist zwar der Meinung, dass der Weinbranche wegen der Corona-Krise geholfen werden muss, lehnt aber zwei Vorstösse, die Importe erschweren wollen, ab. Lesen Sie hier mehr dazu. (LID)
(gb)
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