Sauerteigbrot ist mehrfach fermentiert: mit Milchsäure- sowie Essigbakterien und Hefen
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Täglich nehmen wir mit unserem Essen Milliarden von Mikroorganismen auf, ein Grossteil davon ganz bewusst mit fermentierten Lebensmitteln. Haben wir uns aber schon einmal gefragt, ob die traditionell eingesetzten Starterkulturen überhaupt sicher sind? Lassen sich mit Hilfe von Mikroorganismen gar neuartige Methoden zur Haltbarmachung entwickeln? Und was wünscht denn die Konsumentin, der Konsument überhaupt? Antworten auf diese Fragen hat das Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation (ILGI) der ZHAW an seiner Wädenswiler Lebensmitteltagung zusammen mit Experten gesucht. Die Referenten vermittelten den 200 Teilnehmenden Einblicke in die Möglichkeiten des Einsatzes von Mikroorganismen weit über die traditionell fermentierten Lebensmittel hinaus.
Funktionellen Milchsäurebakterien in Brot
«Facharbeiter mit Migrationshintergrund» – so bezeichnet Michael Gänzle von der University of Alberta in Kanada spezifische Milchsäurebakterien, die sich in unterschiedlichen natürlichen Habitaten in der freien Natur an ihren Wirt angepasst haben. Dass gerade aus dem Verdauungstrakt von Wirbeltieren gewonnene Milchsäurebakterien als Starterkulturen für Lebensmittel besonders interessant sind, hängt sicherlich damit zusammen, dass sie sich im Laufe der Evolution als sehr säurestabil entwickelt haben. Zudem zeichnen sich viele Milchsäurebakterienstämme als gute Kohlenhydratverwerter und ausgeprägte Produzenten bestimmter Kohlenhydrate (Exopolysaccharide) aus. So lassen sich aus Schweinen isolierte Milchsäurebakterien dank dieser Fähigkeiten erfolgreich für die Verbesserung des Brotvolumens einsetzen, oder sie werden für den Abbau von unerwünschten Inhaltsstoffen wie FODMAP (Fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) im Lebensmittel genutzt.
Weitere Forschungserkenntnisse zum Einsatz von funktionellen Milchsäurebakterien in Brot erläuterte Aylin Sahin vom University College Cork in Irland. So können bestimmte Kohlenhydrat produzierende Bakterienstämme das Volumen von glutenfreiem Brot verbessern oder eine Fettreduktion im Blätterteig ermöglichen. Zukunftsweisend sind sicher auch die Untersuchungen, wie mit Hilfe von Manitol produzierenden Mikroorganismen der Zusatz von Zucker in Burger-Buns reduziert werden kann, oder Glutamat produzierende Stämme zur Salzreduktion in Backwaren eingesetzt werden können. Silvia Murgueitio-Purschke vom Bakery Innovation Center der Firma Bühler konnte mit ihren Forschungsarbeiten aufzeigen, wie sich mittels einer neuen Mischtechnologie, dem sogenannten Jet Mix, die Qualität von Teigen und Broten verbessern lässt.
Verbesserungen beim Sauerteig
Torsten Zense vom deutschen Unternehmen Diosna Dierks & Söhne GmbH zeigte unter dem Titel «Sauerteig 2.0» auf, wie sich wertvolle Forschungserkenntnisse im Backwarenbereich in die Anwendung umsetzen lassen. So ist es gelungen, dank dem Einsatz von multifunktionellen Starterkulturen die Knetfähigkeit von Sauerteigen oder die Maschinengängigkeit von bestimmten Teigen (tourierte Teige) zu verbessern. Dass sich Mikroorganismen auch nachhaltig oder wirtschaftlich einsetzen lassen, zeigt sich am Beispiel Brot: Dank Sauerteigstarterkulturen kann Restbrot als Vorteig wiederverwertet werden, und es entsteht zudem noch ein Produkt mit verbessertem Aroma.
Herausforderungen bei Fleischwaren
«Mettwurst mit reduziertem Fettgehalt und dennoch streichfähig?» Dass dies möglich ist, mit dem Einsatz von bestimmten (exopolysaccharidbildenden) Milchsäurebakterien in Fleischprodukten, zeigte Frank Jakob von der Technischen Universität München. Eine der grossen Herausforderungen beim Einsatz von funktionellen Kulturen in Fleisch und Fleischprodukten liegt darin, dass sich die Kulturen ausreichend vermehren können, und dies trotz tiefem Kohlenhydratanteil, hohem Salzgehalt und kühlen Lagertemperaturen.
Schutzkulturen gegen schädliche Einflüsse
Schutzkulturen, d.h. lebende Mikroorganismen, die Lebensmitteln zugesetzt werden, um Risiken durch Verderbs- oder krankheitserregende Mikroorganismen zu reduzieren, treffen den Wunsch der Konsumentin, des Konsumenten nach Clean Label-Produkten bei Lebensmitteln. Werden sie unfermentierten Lebensmitteln zugesetzt, ist es besonders wichtig, dass sie die Charakteristik des Lebensmittels nicht beeinflussen, so Dieter Elsser von der ISI Food Protection, einem privaten Forschungsinstitut in Dänemark.
«Spätblähung von Käse – ein Problem von gestern dank Schutzkulturen?» Dazu forscht die Agroscope Liebefeld. Emanuelle Arias-Roth erklärte in ihren Anwendungsbeispielen für funktionelle Mikroorganismen in Käse, wie neben Säuerungskulturen und Herkunftsnachweiskulturen auch eine Schutzkultur gegen Clostridium tyrobutyricum, den Verursacher von Spätblähung bei der Käsereifung, entwickelt wurde.
Andrea Tönz von der Forschungsgruppe für Lebensmittelbiotechnologie der ZHAW befasste sich mit dem Problem von Listerien in Rohwürsten. Die Jungforscherin präsentierte erste erfolgversprechende Ergebnisse, wie sich dieses Problem vermeiden liesse durch den gezielten Einsatz von Schutzkulturen.
Nutzung zur Vermeidung von Food Loss
Weitere Kurzpräsentationen der ZHAW-Forschungsgruppe für Lebensmittelbiotechnologie gaben einen guten Einblick in die Forschungsaktivitäten der Leiterin Susanne Miescher Schwenninger und ihres Teams. So forschte Edwina Romanens in Honduras an der Verbesserung der Kakaobohnenqualität dank multifunktionellen Mikroorganismen. Sie befasste sich dort erfolgreich mit der Kakaobohnenfermentation.
Über wohlschmeckende Frühstücksflocken aus Müllereinebenprodukten sprach Denise Müller. Sie konnte in ihren Untersuchungen mit Amylase-, Protease- und Phytase-produzierenden Milchsäurebakterien aufzeigen, wie Nebenprodukte aus der Getreideverarbeitung, die üblicherweise als Tierfutter verwendet werden, wieder der Wertschöpfungskette Lebensmittel zugeführt werden könnten. Dazu passte das Votum «Change from dirty to clean» von Daniel Pleissner von der Leuphana Universität Lüneburg. Er propagierte die Rückführung von Lebensmittelabfällen in die Wertschöpfungskette von Lebensmitteln mittels gezieltem Einsatz von Mikroorganismen – eine zukunftsweisende Möglichkeit mit viel Potenzial, um das Problem Food Waste bzw. Food Loss in den Griff zu bekommen.
Sicherheit von Kulturen und rechtliche Fragen
Leo Meile vom Institut für Lebensmittelwissenschaften, Ernährung und Gesundheit der ETH Zürich zeigte in seinem Vortrag über «Biosicherheit Lebensmittel relevanter Mikroorganismen», dass die Wahrnehmung der Konsumentinnen und Konsumenten stark durch die Tradition geprägt ist. So werden spontan oder traditionell fermentierte Lebensmittel meist ohne Bedenken akzeptiert, während der Einsatz von genveränderten Organismen sehr grossen Widerstand auslöst. Um jedoch genaue Aussagen zur Sicherheit von Kulturen machen zu können, sind neuste Methoden zur Genom-Analyse nötig, insbesondere auch dann, wenn es darum geht, für neu entwickelte Kulturen den hohen Sicherheitsstandard der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit), Qualified Presumption of Safety (QPS), zu erreichen.
Evelyn Kirchsteiger-Meier vom Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der ZHAW vertiefte die rechtlichen Aspekte des Einsatzes von funktionellen Kulturen in Lebensmitteln. Besonders herausfordernd wird es dann, wenn Neuentwicklungen in den Bereich der Kategorie Novel Food fallen und nicht ohne Bewilligung in Verkehr gebracht werden dürfen.
Mikroorganismen gelten als natürlich
Natürliche Produkte werden als gesünder, schmackhafter und umweltfreundlicher beurteilt. Die Natürlichkeit eines Lebensmittels stellt somit einen wichtigen Faktor für dessen Akzeptanz dar. Michael Sigrist vom Institut für Lebensmittelwissenschaften, Ernährung und Gesundheit der ETH zeigte mit verschiedenen Studien auf, dass der Einsatz von Mikroorganismen bei den Konsumentinnen und Konsumenten als «natürlich» wahrgenommen wird. (Text: ZHAW)
(gb)