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Report  21.06.2014
Spitzenqualität aus der Industrie?
Während sich in der Käsebranche die handwerklichen Betriebe qualitativ stark von den industriellen abgrenzen, trifft dies in der Fleischbranche nicht zu. Beim Brot holt die Industrie qualitativ auf.

Mehrfach prämierte Fleurette, ein charaktervoller Rohmilch-Weichkäse von der gleichnamigen kleingewerblichen Käserei in Rougemont VD.


Industrieprodukte werden massenweise bei Grossverteilern verkauft, denn sie bieten ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Handwerksprodukte dagegen gelten als exklusivere und teurere Gourmetprodukte. Soweit die Vorurteile. In Wirklichkeit besteht heute in den meisten Branchen ein qualitatives Kopf-an-Kopf-Rennen. Im grossen Ganzen lässt sich feststellen, dass Industrieprodukte günstiger sind aber Handwerksprodukte für Gourmets überzeugender - von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Wenn man die diversen Produktgattungen einzeln betrachtet, zeigen sich interessante Unterschiede. Nur in der Käsebranche besteht aus Gourmetsicht ein systematischer Unterschied zwischen Industriekäse aus pasteurisierter Milch und Rohmilchkäse von Dorfkäsereien, vor allem bei Weichkäse. Rezenter Rohmilch-Käse hat Charakter und gilt als Delikatesse. Käse aus pasteurisierter Milch dagegen entwickelt auch bei langem Reifen nie viel Charakter (und wird daher oft mit Schafmilch, Rahm oder aromatisierenden Zutaten interessanter gemacht).

Dorfkäsereien in der Nähe der Kuhweiden haben einen klaren Standortvorteil: die Milchtransportwege sind kurz und die Milch demzufolge frischer. Sie haben bessere Voraussetzungen, um Charakterkäse herzustellen als die Industrie. Sie müssen die Milch nicht zwecks hygienischer Sicherheit pasteurisieren, wobei die charakterbildende Rohmilchflora dezimiert wird. Zum Andern erhalten viele Kleinkäsereien Milch aus dem Berggebiet, wo die Kühe schmackhafte Kräuter fressen. Dies gilt noch mehr für Alpkäsereien. Der Geschmack der Kräuter überträgt sich auf den Käse.



Weichkäsespezialist BAER in Küssnacht ist eine der wenigen Industriekäsereien der Schweiz und verwendet pasteurisierte Milch, auch für den bekannten BAER-Camembert.


Es gibt zwar auch Dorfkäsereien, die mit Spezialitäten aus pasteuriserter Milch Erfolg haben. Aber Industriekäsereien, die rar sind in der Schweiz, verzichten aus Sicherheitsgründen auf das Verkäsen von Rohmilch. Ein Spezialfall ist Frischkäse, den auch Dorfkäsereien allermeistens aus pasteurisierter Milch herstellen. Bei dieser Produktart kann die Industrie durchaus mithalten wie die Bronzemedaille beweist, welche die Migros-Industrie ELSA an der Bergkäse-Olympiade 2004 mit Heidi-Frischkäse gewann.

Gross aber nicht vollautomatisch

In andern Branchen ist das Fazit des Industrie-Handwerk-Vergleichs weniger eindeutig. Ein Spezialfall ist die Fleischbranche. Bei Wurstwaren ist der Vergleich kaum möglich, da in der Schweiz keine Würste industriell im engeren Sinn (mit vollautomatischen kontinuierlichen Linien) hergestellt werden wie etwa in Deutschland. Grosse wie auch kleine Metzgereien arbeiten mit ähnlichen Prozessen und Anlagen wenn auch von stark unterschiedlicher Grösse.



SFF-Goldmedaille für die Swiss Prim Gourmet Salami «pur porc» von Traitafina, eine Grossmetzgerei


Dass nicht nur gewerbliche Metzgereien sondern auch industrielle im Spitzenqualitäts-Segment präsent sind, beweisen die Medaillen, die Grossmetzgereien an den SFF-Qualitätsprämierungen gewinnen. An der Prämierung im November 2013 erhielt die Grossmetzgerei Reber Ernst Sutter eine Goldmedaille für ihre Cervelat (nebst mehreren gewerblichen Metzgereien). Die Ernst Sutter-Gruppe erhielt für ihre Töchter total rund zwanzig Medaillen, Traitafina deren sieben (wenn man nur die Metzgereiprodukte betrachtet) und Micarna deren vier.

Kopf an Kopf Rennen beim Brot

Nochmals anders ist die Situation in Bäckereien: In gewerblichen Bäckereien herrscht Handarbeit vor, aber industrielle Betriebe besitzen automatisierte kontinuierliche Backstrassen. Welche qualitätsbeeinflussenden Unterschiede in der Brot-Herstellmethode bestehen zwischen Industrie, Gewerbe und den mittelgrossen Hausbäckereien von Migros oder Coop?

Einer der es wissen muss ist Reto Zogg, Backwarenexperte bei der Bäckereitechnikfirma Pitec: «Wegen der Maschinengängigkeit muss die Industrie Kompromisse machen und verwendet etwas trockenere Teige und teilweise Zusatzstoffe», so Zogg. «Die Hausbäckereien produzieren mit denselben Maschinen wie gewerbliche Dorf- und Quartierbäckerien». Das sind kleinere oder grössere Chargenmaschinen und –öfen mit manueller Beschickung. Teilweise werden die Teige von Hand aufbereitet.



Brotteig-Aufbereitung in der Dorfbäckerei Wehren in Schönried BE


Die Industrie dagegen praktiziert meistens eine einstufige Teigherstellung (ohne Vorteig) und kontinuierliche Anlagen. Diese haben immer noch ein Handicap gegenüber dem manuellen Teig-Aufbereiten, obwohl moderne Maschinen heute auch Weichteige verkraften. Flüssigteige lassen sich jedoch nur manuell aufbereiten und würden in einer vollautomatischen, kontinuierlichen Anlage bei jeder Station kleben bleiben. Aber genau diese ergeben feuchtere Krumen und Brot mit mehr Geschmack und längerer Frischhaltung (analog zur langen Reifung einer Rohwurst). Dies erklärt, warum die preiswerten Standardbrote im Supermarkt tendenziell auch im frischen Zustand etwas trockener sind.

Die Brotindustrien holen jedoch auf bei der Qualität. Im Industrie-Segment operieren vor allem Migros (Jowa), Coop (Panofina), Hiestand, Romer’s Hausbäckerei und Kern&Sammet. Während die letzten drei stets Premiumbrote anboten, sind auch die Migros- und Coop-Bäckereien in dieses Segment eingestiegen. Für die neuen Pain Artisanal von Coop respektive Pain Création der Migros werden Vorteige und eine lange Triebführung angewendet, wodurch sie auch preislich bei den gewerblichen Premiumbroten liegen.


Nicht alle Brote im Supermarkt stammen aus der Industrie. Sowohl Migros wie auch Coop haben Hausbäckereien, wo nicht nur gebacken wird sondern auch «geteigt». Rezepte und Machart gleichen dem Gewerbe. Ebenso die Qualität der fertigen Brote.


Bei den Rohstoffen gibt es kaum Unterschiede zwischen Industrie, Hausbäckereien und Gewerbe: «Alle verwenden gute Rohstoffe», so Zogg. Beim Backprozess bestehen zwar grosse Unterschiede, welche aber Ermessenssache sind: Kontinuierliche Bandöfen bieten eine uniformere Qualität als Chargen-Etagenöfen. Dies kann man als Vorteil werten oder aber als Nachteil: Der Bräunungsgrad der Brote aus einem gewerblichen Etagenofen kann schwanken, und der Kunde kann sich ein helleres oder dunkleres aussuchen.

Hauptfaktor Frische

Aber für Kunden ist der wichtigste Faktor der Brotqualität die Frische. Heute backen daher die Grossverteiler auch tagsüber bis zum Feierabend und viele Gewerbebäckereien tun dasselbe. Auch wenn Grossbrote dabei vorgebacken von einer Zentralbackstube zum Verkaufspunkt gelangen (ohne Tiefkühlen) und dort fertiggebacken werden: die Qualität ist nahezu dieselbe wie bei direkt gebackenen. Bei Kleinbroten kommen Tiefkühl-Teiglinge zum Einsatz mit ebenbürtiger Qualität. Bei ungegärten Gipfelteiglingen aus der Industrie, die allerdings fachkundig gegärt werden müssen, ist auch kein Unterschied zum Handwerk merkbar. «Dort muss die Industrie keine Kompromisse machen», so Zogg.



Tierkühlbrote bei CCA


Viele Industriekunden bevorzugen die tiefgekühlten und vorgegärten Teiglinge, die je nach Bedarf auch tiefgekühlt in den Ladenbackofen geschoben werden können. Einfaches Handling und schnelle Reaktionszeiten sind dabei die grössten Vorteile. Das Tiefkühlen schadet bei Teiglingen mit nennenswertem Fettanteil auch dem Produkt nicht. Dies erklärt den einzigartigen Erfolg des Konzepts von Alfred Hiestand seit 40 Jahren.

Allerdings besteht ein Unterschied zwischen Industrie- und Handwerkprodukten auf einer andern Ebene: Die Industrie produziert, um Sortenwechsel auf ihren kontinuierlichen Anlagen zu minimieren, keine grosse Sortenvielfalt, während Handwerker mit Sortenwechseln keine Probleme haben und oft individuelle Sorten anbieten.

Direkter Vergleich anhand von Prämierungen?

Für Qualitätsvergleiche eignen sich die Medaillenlisten der Produktepämierungen nur zum Teil, da in der Schweiz kaum Institutionen bestehen, die gleichzeitig handwerkliche und industrielle Produkte testen. Dies liegt daran, dass die Verbände, die Prämierungen durchführen, nur gewerbliche Hersteller als Mitglieder aufnehmen und keine industriellen. Die Wettbewerbe stehen aber nur Mitgliedern offen. Eine Ausnahme ist der Fleischfachverband SFF, der sowohl gewerbliche wie auch industrielle Mitglieder hat. Ein Spezialfall ist auch der Bäcker-Konditor-Confiseurmeisterverband SBC, bei dem die Firma Hiestand Mitglied ist – obwohl heute industriell – weil sie beitrat, als sie noch gewerblich war. Aber sie beteiligt sich nicht am Swiss Bakery Trophy-Wettbewerb.


Traitafina gewann die Silbermedaille für ihre Meatballs an der SFF-Prämierung im 2013.


Demzufolge kann nur bei Metzgereiprodukten die Frage beantwortet werden, ob Industriebetriebe medaillenwürdige Produkte herstellen. Die Antwort ist ja: dass Industrien im Spitzenqualitätssegment präsent sind, beweisen die Medaillen an den SFF-Qualitätsprämierungen. Einige Beispiele der Prämierung im November 2013:

Medaillen an Traitafina für:
Poulet-Schüblig
Beef-Jerky, original
Lenzburger Bauernschinken
Meat Balls Swiss Prim Gourmet
Poulet Cordonbleu naturform
Kalbsgeschnetzeltes an Pilzrahmsauce

Medaillen an Suttero Ernst Sutter AG für:
Salami Camembert
Appenzeller Landrauchschinken
Appenzeller Braumeister Rauchspeck
Gourmetschinken
Gewürzschinken
Salami Milano

Wo ist die Grenze zwischen Industrie und Handwerk?

Auch Handwerker verwenden Maschinen, aber Industriebetriebe unterscheiden sich durch mehrere Aspekte:
●starke Arbeitsteilung
●eher Einsatz von kontinuierlichen statt chargenweisen Anlagen
●hoher Automatisierungsgrad
●viel grössere Tonnagen
●weniger Sortenwechsel (teilweise Monoproduktionen: nur ein Produkt pro Anlage)
●höherer Anteil an standardisierten Rohstoffen und Halbfabrikaten
●Herstellung von verpackten, haltbaren und gut transportierbaren Produkten.
●Die Rezepte sind hinsichtlich Kosten und Rohstoffverfügbarkeit optimiert



Beim Wurst Stossen bieten sowohl das Handwerk wie auch ein automatischer Füller dieselbe Qualität. Allfällige Unregelmässigkeiten in der Wurstform haben sogar einen Imagevorteil, weil der Kunde daran das Handwerk erkennt und dies meistens höher bewertet.


In einigen Industrien bestehen vollautomatisierte Linien ausgehend von einem agrarischen Rohstoff bis hin zur Endprodukt-Verpackung, Kartonierung und Palettisierung, wo im Mehrschichtbetrieb tagelang dasselbe Produkt hergestellt wird. Diese unterschiedliche Machart hat teilweise grossen Einfluss auf die Qualität, wie sie ein Gourmet definieren würde.

Aber genau genommen spricht man hier nicht von Qualität sondern von Klasse (Luxus, Premium, Standard, Economy - wie bei Hotelkategorien), denn Industrie und Handwerk setzen sich unterschiedliche Ziele. Der Begriff Qualität dagegen ist der Zielerreichungsgrad: perfekte Qualität ist erreicht, wenn der Ist- mit dem Sollwert genau übereinstimmt. Auch eine Economyklasse kann daher von tadelloser Qualität sein, während ein Luxusprodukt mit Abweichungen als qualitätsvermindert gilt. (GB)
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