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Report  10.01.2014
Der unterschätzte Apfel
Zu gesund für eine Karriere als Edelfrucht?
Der Apfel ist in der Schweiz und vielen Ländern ein Grundnahrungsmittel. Er wurde immer als gesunder Snack vermittelt und nicht als Genussprodukt. Dies und seine Alltäglichkeit sind wohl die Gründe, warum er als Hauptgeschmackgeber in Verarbeitungsprodukten eine Randexistenz führt, im Gegensatz beispielsweise zu Erdbeere oder Orange. Die Süss- und Konditoreiwaren-Hersteller lancieren selten ein reines Apfelprodukt. Dies muss an Marketingaspekten liegen: bei diesen Produkten ist die Geschmackssensation ein zentrales Kaufmotiv ist, und hier bietet der alltägliche Apfel zuwenig Sensationelles.

Sobald aber eine Apfelsorte den Nimbus des Exklusiven erhält, steigen die Marketingstrategen ein, so geschehen vor circa 30 Jahren mit der australischen Sorte Granny Smith. Interessanterweise ist der Apfel in der Werbung bei einem Soloauftritt in Süsswaren auch heute noch meistens durchgehend grasgrün wie Granny Smith. Aber es gibt weitere Beispiele für exklusive Sorten wie etwa der rotfleischige Redlove.



Die moderne Apfesorte Redlove besitzt rotes Fruchtfleisch


Mitte des 20. Jahrhunderts war der saure Granny Smith die dominierende Sorte in Neuseeland. Der Apfel wächst dort im gemässigtes Klima dank langer Tage im Herbst hervorragend. Die Grünfärbung bzw die fehlende Rotfärbung erlaubt Pflanzsysteme, bei denen die Bäume dicht zusammenstehen und auf die einzelnen Äpfel wenig direktes Sonnenlicht fällt. Dies im Gegensatz zu unsern Sorten, die von der Sonne rote Backen kriegen - vor allem jene Früchte, die aussen am Baum wachsen. Granny Smith-Äpfel sind ausserdem transportstabil, und Konsumenten in Europa empfanden damals die frische grüne Farbe als Frühlingsboten. Heute swerden sie auch hierzulande angebaut.

Das extreme Zucker-Säure-Verhältnis bzw der starke Säuregeschmack von Granny Smith entsteht nicht durch einen Mangel an Zucker, sondern durch eine erhöhte Menge an Fruchtsäuren. So hat Granny Smith etwa gleich viel Grad Brix wie der süsse Golden Delicious, aber einen etwa dreimal so hohen Säuregehalt. Er wird daher gern zum Backen und Kochen verwendet.



Die Familien-Mosterei Möhl im Thurgau (Mostindien) hat Erfolg mit trendig aufgemachten Apfelsäften. Sie lancierte vor 20 Jahren als erste in der Schweiz die Apfelschorle Shorley, offeriert aber auch den traditionellen sauren Most, sogar eine alkoholfreie Sorte, sowie Apfelsekt. Bild: Ernst Möhl.


Aber unsere einheimischen Äpfel haben immer noch ein Gewöhnlich-Image, und besonders Apfelsaft gilt als bieder. Er eignet sich wegen der starken Süsse auch nicht als Durstlöscher, aber die moderne Light-Version Apfelschorle (circa zur Hälfte mit Wasser oder Mineralwasser verdünnt) bietet den globalen Softdrinks vermehrt die Stirn. Und ein Premium-Apfelsaft hat grosse Chancen, dem Orangensaft als Aperogetränk den Rang abzulaufen. So etwa ein sortenreiner naturtrüber Premium-Direktsaft aus der Apfelsorte "Cox Orange" oder hochwertige Säfte von Hochstamm-Bäumen.

Nicolas Stämpfli in Bösingen FR lancierte einen «Hochstamm Prömium Öpfusaft» und machte sich einen Namen in der Gastronomie und Fine-Food-Geschäften wie Globus. Der Edel-Saft wird aus Hochstamm-Äpfeln der Sorten Gravensteiner, Boskoop und Sauergrauech gewonnen – ohne Kohlensäure und Zusatzstoffe. Und Simon Gisler, Geschäftsführer der Hochstamm-Seetal AG in Hohenrain LU stellt seit zwei Jahren sortenreine Apfelsäfte her, nicht aus Konzentraten, sondern aus Frischsaft (Direktsaft). Abgefüllt werden die Sorten Sauergrauech, Boskoop und Gravensteiner in edle Flaschen, als würde es sich um teuren Wein handeln.

Apfel-Expertin im Interview

Die Apfelkennerin Christine Brugger (Bild) von der Forschungsanstalt Agroscope erforscht den Geschmack von Äpfeln und meint: "Äpfel sind eines der am meisten unterschätzten Agrarprodukte". Sie leitet seit 2008 die Abteilung Sensorik an der Forschungsanstalt Agroscope in Wädenswil. Sie lancierte im Jahr 2011 das "Aromarad für Äpfel" – weltweit das erste seiner Art. Mit diesem lässt sich Aroma, Geschmack und Textur der einzelnen Apfelsorten objektiv beschreiben. Dem landwirtschaftlichen Informationsdienst LID gab sie ein Interview:

LID: Golden Delicious kommt bei Konsumenten besonders gut an, er schmeckt süsslich und mild. Wie beurteilen Sie ihn als Sensorikerin?

Christine Brugger: Süss und mild trifft es relativ gut. Er hat zudem eine grün-grasige Note. Je reifer er ist, desto würziger ist er, desto mehr kommt eine Fenchel- und Anis-Note zum Vorschein. Den Golden Delicious zeichnet eine langanhaltende Süsse aus. Allerdings muss man sagen, dass sein Aroma-Profil nicht besonders vielseitig ist.

LID: Der beliebteste Apfel ist der Gala. Wie erklären Sie sich das?

Das wüsste ich auch gerne. Er hat eine ideale Grösse. Er spricht Erwachsene wie auch Kinder an. Ein wichtiger Grund ist sicher die Omnipräsenz auf dem Markt. In jedem Supermarkt gibt es Gala zu kaufen. Auch der einfache Name kann eine Rolle spielen. Er hat kein polarisierendes Aroma. Er ist tendenziell süsslich, was gut ankommt. Und er hat kein aufdringliches Aroma von Fenchel oder einer Grün-Grasigkeit. Er ist relativ neutral.



In Äpfeln finden sich bis zu 300 verschiedene Aromastoffe. Bild: Aromastoffe sniffen, die nach Auftrennung im Gaschromatographen vereinzelt austreten.


Wir testen regelmässig neue Apfelsorten. Dabei ist der Gala jeweils der Vergleichsapfel, weil er eben der beliebteste Apfel ist. Bei den Blindtests hat er bislang immer sehr schlecht abgeschnitten. Diese Diskrepanz überrascht.

LID: Unterscheiden sich Bio-Äpfel von konventionellen Äpfeln punkto Geschmack?

Die Vergleiche, die bislang zu diesem Thema gemacht wurden, sind nicht aussagekräftig. Da wurden Äpfel miteinander verglichen, die an unterschiedlichen Standorten kultiviert wurden, wo nicht die gleiche Witterung, nicht das gleiche Terroir herrschte oder die Abdrift von Pflanzenschutzmitteln nicht ausgeschlossen werden konnte. Diese Studien erlauben keine fundierten Aussagen. Es fehlt eine grossangelegte Studie zu diesem Thema.

LID: Schmecken Äpfel am besten, wenn sie direkt vom Baum kommen?

Das kommt darauf an. Das Aroma eines Apfels wird zwar grösstenteils am Baum gebildet. Ein frischer, warmer und vollausgereifter Apfel vom Baum ist eine Delikatesse. Äpfel reifen aber auch nach. Holt man einen Golden Delicious im Frühjahr aus dem Kühllager, dann ist er würziger und weniger grün-wachsig. Die Sorte Opal entwickelt mit der Zeit eine Mango-Note. Beim Galiwa kommt ganz stark die Bananen-Note zur Geltung. Ich finde es spannend, wenn sich der Charakter des Apfels ändert.

LID: Sollten Äpfel, die eine fruchtig-tropische Note wie Banane, Ananas oder Mango aufweisen, nicht entsprechend ausgelobt werden? Bei Weinen wird das ja bereits gemacht.

Das fänd ich unglaublich toll. Meine Bestrebungen gehen seit Jahren in diese Richtung. Man muss nicht bis ins kleinste Detail gehen. Manche Konsumenten könnten überfordert sein, beispielsweise zwischen krautigen und blumigen Noten zu unterscheiden. Man könnte grobe Richtungen wie fruchtig, grün, blumig oder würzig angeben. Beim Wein und bei der Schokolade funktioniert das inzwischen, bei den Kartoffeln wird damit angefangen. Beim Apfel wär es auch an der Zeit. Ich glaube, es müsste in Sachen Kommunikation mehr gemacht werden. Wir haben mit der Entwicklung des Aromarades vorgelegt.

LID: Welche Rolle spielt die Farbe eines Apfels beim Kauf?

Konsumenten assoziieren mit der Farbe bestimmte Eigenschaften. Gelb steht für leicht mehlig, reif und süss. Grün wird mit sauer assoziiert.

LID: Trifft das zu?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben bei uns auf der Versuchsanlage eine Apfelsorte, die dunkelrot ist und ein grün-grasiges Aroma hat. Es gibt gelbe Äpfel, die extrem sauer sind. Es ist einfach so verankert bei den Leuten. Es sind dies Prägungen, die sich über Jahre entwickelt haben.

LID: Wie soll man einen Apfel essen, damit man die volle Geschmacksbreite wahrnimmt?

Als erstes sollte man an einem Apfel riechen. Danach schneidet man ihn in Schnitze und riecht am Fruchtfleisch. Dessen Aroma unterscheidet sich von demjenigen der Schale. Dann isst man den Apfelschnitz. Es lohnt sich auch einen Apfel lange zu kauen, um ein volles Aromaerlebnis zu bekommen. Dabei werden wiederum Aromen frei, die im Fruchtfleisch eingeschlossen sind. (Text: LID)

Wissenswertes über Schweizer Äpfel

Die drei grössten Anbaugebiete Thurgau, Wallis und Waadt produzieren zusammen mehr als zwei Drittel der gesamten Tafelfrüchte. Mit Abstand am meisten angebaut und als einheimische Frucht das ganze Jahr über erhältlich ist der Apfel. Von den rund 6500 ha Obstkulturen sind 4300 ha Äpfelanlagen, wobei Golden Delicious sich seit Jahren an der Spitze hält. Birnen werden in der Schweiz auf 947 ha angebaut, wovon rund ein Drittel Williams sind.


Apfel-Niederstamm-Intensivkultur im Thurgau


Das Mostobst wird in den Mostereien zu Apfelsaft und Apfelwein verarbeitet. Tafelfrüchte werden heute fast ausschliesslich in Obstkulturen auf Niederstammbäumen angebaut und 90 % der Schweizer Obstproduzenten orientieren sich an den Richtlinien der integrierten Produktion. Ihre Früchte dürfen mit der Herkunftsbezeichnung Suisse Garantie ausgezeichnet werden. (Text: Schweizerischer Obstverband SOV) (gb)

Gala ist die Nummer eins

Rund 15 kg Äpfel isst jeder Schweizer durchschnittlich pro Jahr. Damit sind Äpfel das beliebteste Obst. An der Spitze der Sortenhitparade liegt Gala, gefolgt von Golden Delicious, Braeburn und Jonagold. Tafeläpfel werden fast ausschliesslich in Niederstamm-Anlagen produziert, während Mostobst grossmehrheitlich auf Hochstammbäumen wächst. Der Selbstversorgungsgrad bei Äpfeln liegt bei rund 95 Prozent. Obwohl die meisten Apfelsorten im Herbst geerntet werden, sind das ganze Jahr über – wegen ihrer Lagerfähigkeit und des Imports von frisch geernteten Äpfeln aus der südlichen Hemisphäre – Äpfel erhältlich.


Der Apfel hat mehr Sexappeal als man denkt. Dies hat auch der neue Bauernkalender gemerkt.


Der Apfelmarkt ist von einem ständigen Auf und Ab verschiedener Sorten geprägt: Neue drängen auf den Markt, althergebrachte wie Glockenapfel oder Jonathan verlieren in der Gunst der Konsumenten. Zu den Aufsteigern gehört auch der ursprünglich aus Neuseeland stammende, leicht säuerliche Braeburn.

Apfel - die beliebteste Frucht

Unbestritten und wissenschaftlich vielfach belegt ist, dass der Apfel zu den gesündesten Früchten überhaupt gehört. Wenn auch der Gehalt von Vitaminen nicht ausserordentlich gross ist, so sind es insbesondere die in und knapp unter der Schale vorhandenen sekundären Pflanzeninhaltsstoffe, die in der modernen Ernährungswissenschaft als besonders wertvoll gelten. Der relativ hohe Gehalt an Pektin hilft den Cholesterinspiegel zu senken, denn es bindet im Darm die aus Cholesterin gebildeten Gallensäuren und giftigen Schwermetalle.

Äpfel enthalten mehr als 30 verschiedene Mineralstoffe und Spurenelemente und zudem wichtige Vitamine. Mit 52 kcal pro 100 g sind sie als Zwischenmahlzeit ideal. Je nach Sorte, Wachstum und Lagerbedingungen enthalten Äpfel zwischen 0 und 35 mg Vitamin C. Dies ist nicht sehr hoch im Vergleich zu anderen Früchten. Kleinere Äpfel sind vitaminreicher als grosse. 70% der Vitamine sitzen vor allem in der Schale. Dazu enthält die Schäle wertvolle ungesättigte Fettsäuren, Magnesium und Eisen.



Die Vorlieben variieren. Die einen Konsumenten würden lieber grüne Äpfel essen, andere wiederum bevorzugten rote. Auch beim Geschmack ist die Bandbreite gross: Zwar sind süsslich-milde Sorten besonders beliebt, doch auch eher säuerliche Äpfel haben ihre Liebhaber.


Aufgrund der «bioaktiven Substanzen» ist der Apfel wertvoll für unsere Gesundheit. Farb- und Gerbstoffe schützen vor Herz- und Kreislauferkrankungen und Krebs. Zusätzlich zeichnet der Apfel einen hohen Ballaststoffanteil aus, vor allem das lösliche Pektin, das den Cholesterinspiegel senken hilft und dabei gegen Darmkrebs vorbeugen kann. Weil das Apfelpektin so quellfähig ist, regt es die Verdauung an und sorgt für ein anhaltendes Sättigungsgefühl. Mit seinem hohen Fruchtzuckergehalt ist der Apfel ein idealer Muntermacher. Für Kinder und Säuglinge ist ein geriebener Apfel ein alt­bewährtes Mittel gegen Durchfall.

Vom Apfel zum Saft

Apfelsaft wird aber nicht etwa aus Tafel- oder Plantagenäpfeln hergestellt, dafür wäre deren Säuregehalt viel zu niedrig. Ein geschmacklich guter Apfelsaft kann nur mit alten Apfelsorten aus Streuobstwiesen hergestellt werden. Das ungespritzte Mostobst mit hohem Säure- und Zuckergehalt wird dann in der Mosterei zu einem naturtrüben Saft gepresst und in weiteren Vorgängen noch veredelt.

Um einen klaren Apfelsaft zu erhalten, muss der Saft zentrifugiert und filtriert werden. Beim Saftpressen werden die unterschiedlichsten Streuobstsorten miteinander vermischt, was ein aromatisches, erfrischendes Getränk ergibt. Es hebt sich deutlich von anderen Säften ab, bei denen Plantagenäpfel mitverarbeitet werden.

Herr und Frau Schweizer trinken jährlich 12 Liter Apfelsaft. Pro Liter Apfelsaft werden ca. 1.3 kg Äpfel gebraucht. Für die Apfelsaftherstellung eignen sich vor allem die alten Apfelsorten, da sie einen hohen Säure- und Zuckergehalt aufweisen. Die typischen Sorten für die Herstellung von Apfelsaft sind Blauacher, Bohnapfel, Boskoop, Sauergrauech, Thurgauer Weinapfel oder Tobiässler. Die Bezeichnung Apfelsaft darf nur ein Saft erhalten, welcher mind. 90% Apfelsaft enthält und maximal 10% Birnensaft.

Heute wird der Apfelsaft meist aus Konzentrat gewonnen. Dazu wird zuerst das Aroma abdestilliert und separat gelagert, wobei es besser haltbar ist. Beim Rückverdünnen wird es wieder zugesetzt. Hat ein Saft die Bezeichnung „Saft frisch ab Presse“, so wurde er nicht durch Konzentrat hergestellt (Direktsaft). Apfelsäfte aus Konzentraten verlieren wegen der Wiedererhitzung Vitamine und Aromastoffe, sonst lässt sich der rückverdünnte Saft aus Konzentrat vom frischen Saft kaum unterscheiden. Sensorisch können jedoch Unterschiede festgestellt werden. (LID / SGE)

Lagern oder importieren im Frühling aus Übersee?

Schweizer Äpfel sind, auch wenn sie bis im Sommer gelagert werden, ökologischer als Importäpfel aus Übersee. Zu diesem Schluss kam eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2009. So verursache die Lagerung von einem Kilo Schweizer Äpfel bis Ende Juli maximal 0,35 kg CO2, während dieselbe Menge Neuseeländer Äpfel im besten Fall – direkt nach der Ernte und ohne Lagerung – auf rund 0,5 kg CO2 kommen.


Industrielle Apfelwaschanlage in der Obsthalle Sursee. Notabene: Alle Äpfel schwimmen im Wasser, bei den Birnen gibt es schwimmende und sinkende Sorten je nach den Luftkammern im Kerngehäuse.


Auch Monate nach der Ernte sind Äpfel noch so knackig und frisch, als wären sie erst gerade vom Baum gepflückt worden. Dahinter steckt viel High-Tech: Frostige Temperaturen, kaum Sauerstoff, dafür viel Kohlendioxid CO2. Damit die im Herbst geernteten Äpfel auch noch im Sommer punkto Geschmack und Äusserem überzeugen, müssen sie entsprechend gelagert werden: in luftdichten Räumen, wo der Sauerstoff-Gehalt auf ein bis drei Prozent abgesenkt, der CO2-Gehalt hingegen erhöht wird und die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen. Damit wird der Reifungsprozess verlangsamt, die Äpfel bleiben quasi auf dem Ernte-Stand konserviert.

Man versetzt die Äpfel in einen Winterschlaf. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl. Denn die Temperaturen sowie die Gehalte an Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff dürfen weder zu tief noch zu hoch sein, sonst halten die Äpfel nicht bis im Sommer durch. Deshalb werden diese Werte ständig durch einen Computer überwacht – rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr. "Wenn sich ein Wert verändert, wird Alarm ausgelöst", erklärt Marie-Therese Lütolf Hofstetter, Leiterin der Obsthalle Sursee.

Die Äpfel "schlafen" im Kühllager so lange, bis vom Detailhandel eine Bestellung eingeht. Ein Roboter packt die grünen Harassen und manövriert die Äpfel in einen mit Wasser gefüllten Kanal. Das garantiert einen schonenden Transport. Danach sortiert eine Maschine die Früchte nach Farbe und Kaliber. Hier wird bestimmt, welche Äpfel dereinst als Klasse 1 im Laden landen, welche als Kochobst verkauft werden und welche als Ausschuss zu Most verarbeitet werden.

Einmal sortiert, landen die Äpfel wiederum in einem Kühllager. Erst am Tag der Auslieferung werden die Früchte schliesslich abgepackt – in Tragtaschen, Kartons oder Kisten für den Offenverkauf. Vorher werden Äpfel ein letztes Mal kontrolliert, dieses Mal von Hand. Homogene Gebinde sollen es sein. Will heissen: in der gleichen Verpackung sollen alle Früchte ähnlich gross sein.

Markenäpfel auf der Überholspur

Eidgenössische Forschungsanstalt Wädenswil, 1982: Alfred Aeppli und Ueli Gremminger sind auf der Suche nach einer neuen Apfelsorte. Gut lagerfähig, robust gegenüber Krankheiten, beliebt bei den Konsumenten soll sie sein. Die beiden Züchter kreuzen diversen Sorten miteinander, insgesamt knapp 7'000 Sämlinge entstehen. 1'100 überstehen den ersten Selektionsprozess, 48 den zweiten. Übrig bleibt am Schluss eine Kreuzung aus Maigold, Idared und Elstar. Sie trägt die Nummer "FAW 5878".


Markenäpfel wie im Bild Diwa sind rechtlich geschützt, verfügen über eine Identität, haben eine eigene Homepage und einen klingenden Namen. Sie werden immer beliebter und professionell vermarktet.


Konsumenten zeigen sich bei Degustationen begeistert – von der leuchtendroten Schale, dem knackig und saftigen Fruchtfleisch und dem fruchtigen Aroma. Auch bei den Obstproduzenten kommt die neue Sorte an: gute und regelmässige Erträge, grosses Erntefenster, gut Lagerfähigkeit. Schnell ist klar: Dieser Apfel hat Potenzial.

Murten, Expo 2002: Die Forschungsanstalt Agroscope tauft im Rahmen der Landesausstellung "FAW 5878" auf den Namen "Diwa". Die Endung -wa deutet auf Herkunftsort den Wädenswil hin. Diwa ist nicht einfach eine Apfelsorte wie Gala, Golden Delicious oder Braeburn.

Diwa ist eine Marke, eingetragen in einem Register und urheberrechtlich geschützt. Davon zeugt das ® hinter dem Namen. Im Verkaufsgestell prangt auf den Äpfeln ein Kleber mit der Aufschrift "Diwa". Der Schriftzug ist kunstvoll gestaltet, ein Logo mit Wiedererkennungswert. Beworben wird der Diwa-Apfel mit einem eigenen Slogan: "Nie ohne meine Diwa." Und natürlich hat der Markenapfel auch einen eigenen Auftritt im Internet (www.diwa-apple.ch).

Äpfeln eine Identität geben

Der Diwa-Apfel wird professionell gemanagt und vermarktet wie Markenuhren oder Markenkleider. Dafür ist Michael Weber zuständig. Er ist Geschäftsführer der Varicom GmbH, welche die Neuzüchtungen der Forschungsanstalt Agroscope in den Markt einführt. Spricht man mit ihm, fallen Worte wie "Branding", "Markt-Positionierung", "Markenprofil" oder "Markenimage" – Begriffe, die gemeinhin kaum mit Äpfeln in Verbindung gebracht werden. "Selbst für die Werbeagentur, mit der wir zusammenarbeiten, war es neu, dass man Äpfel zu Marken aufbauen kann", erklärt Weber.

Marken würden Konsumenten Orientierung bieten, sie stünden für Werte, hätten ein Image. Und sie seien ein Instrument, um sich von den vielen anderen Apfelsorten, die um die Gunst der Konsumenten buhlen, abzuheben. Weber hat gemeinsam mit einer Werbeagentur eine Positionierung der Marke ausgearbeitet und darauf aufbauend eine Werbekampagne entwickelt. "Unser Zielpublikum sind urbane, junge und sportlich aktive Menschen, die gesund leben wollen", so Weber.

Vermarktet wird der Diwa-Apfel im so genannten Clubsystem (siehe Kasten). Dafür muss eine entsprechende Lizenz bei der Varicom GmbH erworben werden. Wer dies nicht tut, darf zwar den Diwa anbauen und verkaufen, muss das allerdings unter dem Sortennamen "Milwa" tun.

Markenäpfel boomen

Das Modell hat Erfolg: So konnten die Obstbauern aufgrund der regen Nachfrage die Anbaufläche stark erweitern, von einer Hektare im 2004 auf 100 Hektaren im 2013. Der Boom ist aber nicht nur auf Diwa beschränkt, Markenäpfel sind generell auf der Überholspur (siehe Grafik). So wurde deren Anbaufläche im letzten Jahr ausgedehnt, während diejenige von Nicht-Markenäpfeln wie Gala, Golden Delicious oder Maigold reduziert wurde. Mittlerweile werden Markenäpfel auf rund 525 Hektaren kultiviert, was 14 Prozent der Apfel-Anbaufläche entspricht. Derzeit sind knapp 20 Apfel-Marken auf dem Markt.

"Die hohe und konstante Qualität der Clubsorten sehen wir als Hauptgrund für den Erfolg. Dadurch resultiert ein tolles Geschmackserlebnis beim Kunden, der die hohe Qualität schätzt", erklärt Urs Peter Naef, Mediensprecher der Migros. Der Anteil Markenäpfel sei in den letzten Jahren gestiegen, deren Anteil liege derzeit bei 15 Prozent. Ähnlich tönt es bei Coop, Mediensprecher Urs Meier: "Die Clubsorten erfüllen in der Regel die Geschmackswünsche einer breiten Kundschaft. Sie tragen Namen, die Interesse wecken, und geniessen eine hohe Bekanntheit." Bei Coop machen Clubsorten inzwischen rund einen Viertel des Umsatzes aus.

Ob der Wachstumskurs bei Markenäpfeln anhält, ist allerdings fraglich. Denn Markenäpfel sind – wie alle Markenprodukte – im Hochpreissegment angesiedelt. Dieses werde nicht unbeschränkt wachsen, gibt Georg Bregy, Direktor des Schweizer Obstverbandes, zu bedenken. Je mehr Markenäpfel angebaut würden, desto mehr verlören diese an Exklusivität. Und weil immer mehr Marken auf den Markt drängten, bestehe die Gefahr der Verdrängung.

Der Apfel-Club

Dass Äpfel zu Marken aufgebaut und professionell gemanagt werden wie Autos oder Uhren, ist ein junges Phänomen. Noch vor rund zehn Jahren waren Markenäpfel praktisch inexistent. Treiber dieser Entwicklung ist die zunehmende Privatisierung der Apfelzüchtung. So haben sich staatliche Institutionen in der Vergangenheit ganz oder teilweise zurückgezogen und das Feld Privaten überlassen. Diese investieren allerdings nur in die Züchtung neuer Sorten – ein jahrelanger und kostspieliger Prozess –, wenn sich damit auch Geld verdienen lässt.

Deshalb lassen Züchter einen vielversprechenden Apfel nicht nur als Sorte schützen, sondern auch als Marke. Das ist lukrativer, weil der Züchter nicht mehr nur für die Vermehrung der Apfelsorte (Sortenschutz) Gebühren erhält, sondern auch für die Äpfel (Markenschutz). Mit anderen Worten: Einen Markenapfel darf nur anbauen und vermarkten, wer beim Züchter eine entsprechende Lizenz erwirbt. In der Obstbranche nennt sich das "Sortenclub". Dieser regelt die ganze Kette von der Züchtung über die Vermehrung in der Baumschule, den Anbau bis hin zum Verkauf. Der Club sichert Exklusivität: Die Mitglieder können die Menge steuern. Die Gefahr, dass plötzlich unkontrolliert Äpfel einer Marke angebaut werden und die Preise damit unter Druck kommen, besteht somit nicht.

Der Club definiert zudem die Qualitätsstandards. Äpfel, welche diesen nicht genügen, dürfen nicht unter dem Markennamen verkauft werden. Das Konzept, Äpfel zu Marken aufzubauen und in Sortenclubs zu vermarkten, stammt aus dem Ausland. Die meisten der heute in der Schweiz erhältlichen Marken sind denn auch im Ausland entwickelt worden. Der Trend hat seit einigen Jahren auch die hiesigen Züchter erfasst. Schweizer Marken sind beispielsweise Diwa und Mairac (Agroscope/Varicom) sowie Redlove (Baumschule Kobelt). (LID)
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