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Report  30.08.2013
Süsse Blumen aus Glarus


Glarner Pastete der Glarner Bäckerei Märchy, mehrmals von der Swiss Bakery Trophy mit einer Silbermedaille prämiert.


Blätterteig ist die Grundlage für die "Glarner Pastete": Mit einer Blumenform sticht der Glarner Bäckermeister Adrian Studer in Niederurnen Boden und Deckel aus. In den Sommerferien und vor den Weihnachten wallt der Bäcker aus Niederurnen besonders viel Teig aus: Dann ist die Glarner Spezialität, die im Inventar des kulinarischen Erbes der Schweiz eingetragen ist, besonders begehrt.

In Studers Backstube läuft im Hintergrund das Radio. Laut Überlieferung wurde auch früher die Glarner Pastete nicht im stillen Kämmerlein zubereitet: Man soll dazu gepfiffen und gesungen haben. Die Glarner waren aber nicht etwa besonders musikalisch. Das Pfeifen und Singen hatte vielmehr einen wirtschaftlichen Hintergrund: Es sollte verhindert werden, dass die teuren Mandeln gegessen wurden.


Adrian Studer ist einer von 22 Glarner Bäckern, die die Glarner Pastete herstellen.


Neben Blätterteig sind Mandeln und Zwetschgen die Hauptzutaten der Glarner Pastete. Auf dem Tisch in Studers Backstube liegen zwei vorbereitete Plastiktüten mit der süssen Füllung. Studer bereitet sie selber zu. Für die Zwetschgenfüllung werden gedörrte Zwetschgen weichgekocht und zerrieben, für die Mandelfüllung werden die Mandeln gemahlen.

Weil dies aufwändig ist, stellt Studer wie die meisten anderen Glarner-Pasteten-Produzenten die Füllungen in grossen Mengen her und friert sie ein. "Es gibt kein Standardrezept, jeder Bäcker macht es ein bisschen anders", sagt er. In Studers Zwetschgenfüllung etwa ist immer noch eine Portion Apfelmus drin.


Glarner Pasteten der Confiserie zur Blume von Ludwig Caderas. Der Name «Blume» ist eine Anspielung auf die Form der Pasteten.


Bevor die Füllung auf den ausgestochenen Blätterteigboden kommt, verstärkt Studer den Rand: Den restlichen Blätterteig wallt er noch dünner aus und sticht mit einer runden Form sichelförmige Halbmonde aus. Diese Halbmonde legt er auf den äusseren Rand des Teigbodens. Ist die Glarner Pastete erst einmal im Ofen, werden die vielen Schichten wie Blumenblätter aufgehen.

Halb-halb oder verheiratet

Die Halbmonde am Rand gehen im Ofen nicht nur auf wie Blumenblätter, sondern sorgen auch dafür, dass die Mandel- und Zwetschgenmasse, die Studer nun einfüllt, nicht ausläuft. Die erste Pastete füllt er zur einen Hälfte mit Mandel- und zur anderen Hälfte mit Zwetschgenfüllung. Bei der zweiten Pastete demonstriert Studer die verheiratete Version: In die Mitte gibt er einen Kreis Zwetschgenmasse, darum herum kommt Mandelmasse auf den Boden. Wer nur eine Füllung gerne hat, kann sich also auf den einen Teil der nicht-verheirateten Pastete beschränken.

In Studers Bäckerei geht die Glarner Pastete insbesondere an Weihnachten und im Sommer oft über den Ladentisch. "An Weihnachten ist sie als Kundengeschenk gefragt, im Sommer kommt sie bei den Touristen an." Wenn Adrian Studer Glarner Pasteten macht, macht er es in grossen Mengen. Die ungebackene Pastete ist etwa zwei Zentimeter dick und lässt sich in Türmen platzsparend bis zu drei Wochen einfrieren.

Bevor die Pastete von Studers Backtisch in den Ofen kommt, legt er den Deckel drauf, sticht mit einem kleinen runden Förmchen in der Mitte ein Loch und schneidet mit dem Messer verschieden lange Schlitze in den Teig. Studers Mitarbeiter sind am Nebentisch mit der kleineren Variante der Glarner Pastete beschäftigt: mit dem "Beggeli". Die Mitarbeiterinnen stechen spitzbubengrosse Rondellen aus und legen sie in kleine Förmchen. Im Gegensatz zur grossen Pastete gibt es bei der kleinsten eine klare Trennung. Entweder werden sie mit Zwetschgen- oder mit Mandelmasse gefüllt.

Der Begriff "Beggeli" stammt von "Beckeli". Die kleine Variante der Glarner Pastete haben die Glarner früher zuhause gemacht und benutzten Porzellantassen als Backform. Trotz der Mandel- oder Zwetschgenfüllung sind die "Beggeli" bei den Glarnern auch als "Öpfelbeggeli" bekannt, erklärt Studer. Dies rührt wohl daher, dass man früher zuhause eher Äpfel als Zwetschgen vorrätig hatte.



Beggeli der Glarner Bäckerei Cornetto


Die grosse Pastete ist nun 20 Minuten am Backen, Studer gewährt einen Blick in den Ofen. Der Blätterteig geht auf, die dickere Randschicht entfaltet sich. Nach weiteren zehn Minuten beginnt der noch weisse Blätterteig, sich bräunlich zu verfärben. Studer nimmt die Pastete aus dem Ofen und bestäubt sie mit einer gehörigen Schicht Puderzucker. Zum Schluss erhält die Pastete ihre Identität: In die Mitte setzt der Bäckermeister ein Marzipanblatt. Darauf zu sehen ist das rote Kantonswappen mit Fridolin, dem Schutzpatron des Glarnerlandes.

Rezept aus Frankreich?

Die süsse Spezialität aus dem Kanton Glarus stellen heute noch 22 Bäckereien selbst her, weiss Studer, der beim Verband "Glarnerbegg" bis vor kurzem Kantonalpräsident war. Das Handwerk des Pastetenbäckers geht in der Geschichte des Kantons weit zurück: Im "Lande Glarus" waren laut der Volkszählung von 1837 über 2500 Handwerker registriert; darunter befanden sich auch zwölf Pastetenbäcker.

Warum die Glarner Bäcker dieses Blätterteiggebäck bereits im 19. Jahrhundert herstellten, erklären sich die Bäcker mit zwei verschiedenen Theorien. Die Pastete sei wohl von Frankreich – dem Land der Pasteten – nach Glarus gelangt, erklärt Studer. Eine Theorie besagt, dass Glarner Offiziere, die im 18. Jahrhundert in Frankreich Dienst leisteten, das Pastetenrezept nach Hause brachten.



Beggeli: Entweder mit Zwetschgen- oder mit Mandelmasse gefüllt.


In einer anderen Theorie spielt die Glarnerin Anna Aebli aus Ennenda die Hauptrolle: Aeblis verstorbene Cousine soll ihr das Rezept im Jahr 1858 als Mitgift in die Ehe gegeben haben. Mit diesem Rezept soll die frisch verheiratete Anna den Grundstock zur Bäckergeneration Aebli gelegt haben. Der Name der Familie ist laut Studer einigen Glarnern immer noch ein Begriff, schloss doch die Bäckerei Aebli erst 1968 ihre Tore.

Der Ursprung der Glarner Pastete kann wohl nie ganz geklärt werden. Sicher ist aber, dass die Glarner Pastete seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu den Klassikern der Glarner Festtagsspeisen gehört. (Text und Personenbilder: LID)

(gb)
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