delikatessenschweiz.ch
Report  25.08.2012
Der gute Ton ist rosarot
Kalbfleisch musste bisher immer weiss sein. Rosarot wäre besser – nicht nur für das Kalb, das nun nicht mehr eisenarm gefüttert werden darf. Die Metzgereien hoffen, dass ihre Kunden das rosa Kalbfleisch nicht links liegen lassen. Gastronomen sollten mit dem guten Beispiel vorangehen. Herbert Huber, Buchautor und ehemaliger Spitzenkoch in Stans, engagiert sich für die Farbe rosa.




Kalbsmedaillon in einem Gourmet-Restauraurant. Durch das Garen verkleinern sich die Unterschiede zwischen hellem und rosarotem Kalbfleisch.


Als wir in den 70er-Jahren Gastgeber im «Goldenen Kreuz» in Gerzensee waren, wurden im prunkvollen «Louis- XVI-Saal» Hochzeiten gefeiert. Mit Kalbsrücken als Paradestück. Im Ofen klassisch auf den Punkt gebraten, mit herrlicher Kruste und innen leicht rosa. Es war das begehrteste Hochzeitsmahl, sicher auch nicht das günstigste. Ich erinnere mich noch gut, wie ein «Berner Aristokrat» mit einem «de» vor dem Namen das Menü wie folgt in Auftrag gab: «Gälled, Herr Hueber, dass Er mer de Eurem Metzger säged, s Chalb müess de schneewiiss sii, wie s Bruutchleid. U guet glageret. U schön braate. U vor de Gaschtig tranchiert.»

Das waren Wünsche. Meine Generation hatte das im kulinarischen Gedächtnis fest verankert: Kalbfleisch ist weiss, nicht rosa und schon gar nicht rot. Denn das rote Fleisch stammt von sogenannten Fressern. Nur Fleisch von mit Milch(produkten) aufgezogenen Kälbern galt als gut. Noch heute sagen mir viele Bankmetzger, dass ein grosser Teil der Kundschaft ausschliesslich weisses Kalbfleisch wünsche. Der (Irr-)Glaube, helles Kalbfleisch sei besonders edel, hält sich also hartnäckig.

Die helle Farbe ist die Folge einer nicht artgerechten Fütterung. Kälber benötigen in ihrem ohnehin kurzen Leben von 4 bis 5 Monaten aus tierschützerischer Sicht viel Wasser und auch eisenhaltiges Raufutter (z. B. Heu, Gras) – zur Produktion von Blut. Das aber hat rötlicheres Fleisch zur Folge – wie bereits heute bei Bio-, Coop-Naturafarm und Migros- Terra-Suisse-Kalbfleisch.

«Farbabzüge» für rötliches Fleisch

Das grosse Umdenken hat aber noch nicht stattgefunden. Nach wie vor müssen Produzenten von rötlichem Kalbfleisch sogenannte Farbabzüge, also Preiseinbussen, in Kauf nehmen. Der Fleischfachverband will zuerst den Beweis für die Akzeptanz des rötlichen Fleisches bei den Konsumenten sehen.



Jacky Donatz, der schweizweit bekannte Spitzenkoch und Fleischspezialist im Zürcher Fleisch-Mekka-Restaurants Sonnenberg verwendet rund 6 Tonnen Schweizer Kalbkoteletten pro Jahr. Er findet rosa Kalbfleisch schmackhafter.


Nun aber hat Proviande, die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, eine landesweite Informationskampagne gestartet. Mit ordentlich viel Geld. Mit Spitzenköchen und Degustationen bei Grossverteilern und in Restaurants. Der Konsument soll überzeugt werden, dass korrekte Fütterung nicht weisses, sondern rosarotes bis rötliches Kalbfleisch ergibt, das aber gleich gut schmecke wie das weisse.

Die Kampagne hat einen Hintergrund: Wegen der neuen Tierschutzverordnung werden spätestens ab September 2013 alle Schweizer Kälber eine ausreichende Eisen- und Raufutterversorgung erhalten. Schweizer Kalbfleisch wird rötlicher werden.

Kalbfleisch macht nur 6 Prozent des Fleischkonsums in der Schweiz aus, und praktisch der ganze Bedarf kann durch die Inlandproduktion gedeckt werden. Und das soll aus Sicht der Schweizer Fleischwirtschaft auch so bleiben. Die Aufklärungskampagne ist deshalb sinnvoll und notwendig, denn es besteht die Gefahr, dass weisses Kalbfleisch künftig sonst einfach importiert wird. Ennet der Grenzen sieht man das mit der Tierhaltung nicht so eng und streng.

Test bestanden

Eine Grundfrage bleibt: Wie schmeckt rosarotes Kalbfleisch? Ich habe die Probe aufs Exempel gemacht und «Natura Veal» gegessen. Es war herrlich zart und auch optisch perfekt. Sogar kräftiger im Geschmack. In den Farbnuancen allerdings liegt schon eine Krux: Wird eines Tages das Kalbfleisch so rot sein wie Jungrindfleisch, wird das an den Metzgereitheken sicher zu Diskussionen führen, ebenso in der Beiz mit dem oft ohnehin schon überforderten Personal. Rosarotem Kalbfleisch aber gebührt eine Chance – auch zum Wohl der Kälber.

Also gilt: beim nächsten Einkauf in der Metzgerei oder dem Grossverteiler nachfragen. Wichtig allerdings: Auch rosarotes Kalbfleisch muss gut abgehangen (gelagert) sein. Für ein Voressen empfehle ich die Schulterstücke, für Schnitzel den Stotzen. Edelstücke sind Filet, Rücken und Koteletts. (Text: Herbert Huber, Auszug aus seinem Bericht in der Neuen Luzerner Zeitung. piazza@luzernerzeitung.ch)


Vitello Tonnato als Apero-Häppchen im Zürcher Spitzenrestaurant Clouds. Mit «Spitze» sind nicht nur die 16 Gault Millau-Punkte gemeint sondern auch die 126 Meter Höhe: das Clouds ist zuoberst d.h. auf der 35. Etage des Prime Towers.


Rezept: Vitello Tonnato

Menge für 4 Personen
Fleisch: 700 g Kalbsnierstück oder Hohrücken
1 kleine Karotte
1 Rippe Stangensellerie
1 kleine Schalotte
1 kleiner Rosmarinzweig
Olivenöl
Bratbutter zum Anbraten
Salz, Pfeffer

Gemüse in Würfel schneiden. In einem Schmortopf etwas Öl und Butter erhitzen und Gemüse kurz dünsten. Herausnehmen. Fleisch mit Salz und Pfeffer würzen und von allen Seiten anbraten. Gemüse und Rosmarinzweig zurück in den Schmortopf geben und das Fleisch darauflegen. Zugedeckt im vorgeheizten Backofen bei 150 Grad zirka 20 Minuten garen. Nach Halbzeit wenden und arrosieren, also wiederholt mit dem Bratfett übergiessen. Dabei nicht mehr zudecken. Mit der Hilfe eines Fleischthermometers bis zu einer Kerntemperatur von etwa 52° C weitergaren. Das Fleisch soll innen noch rosa sein. Dann Fleisch sofort herausnehmen, in Alufolie rollen und darin erkalten lassen.

Sauce:
200 g Mayonnaise
200 g Thunfisch aus der Dose
3 TL Kapern gewässert
4 Sardellenfilets

Alle Zutaten im Mixerglas fein pürieren. Falls Sauce zu dick, mit ein paar Esslöffeln Weisswein (zirka 4 bis 6) verdünnen. Zitronensaft, Salz und Pfeffer zum Abschmecken.

Anrichten:
Fleisch am besten mit der Aufschnittmaschine so fein wie möglich aufschneiden und auf die Teller anrichten. Mit der Sauce einen Teil nappieren, das schöne Fleisch soll seine Qualitäten zeigen. Nach Belieben mit Kapern, Oliven, Zwiebeln, Tomaten usw. ausgarnieren. Dazu passen Rosmarinkartoffeln. (Rezept von der Brasserie Le Mirage in Stans)



Herbert Huber mit seinem Buch «Virus Gastronomie», erschienen im 2005 in Brunner Verlag.



Mitteilung von Proviande


Aufgrund einer Revision der Tierschutzverordnung werden Kälber künftig zu ihrem eigenen Wohl vermehrt mit Raufutter ernährt. Das hat keine Auswirkungen auf die Qualität und Zartheit des Fleisches, führt aber zu einer rosa bis rötlichen Färbung. Proviande hat über damit verbundene Neuerungen für die Fleischwirtschaft sowie für die KonsumentInnen informiert.
Bild: vorne helles, hinten rötliches Kalbfleisch.


In den Köpfen vieler Fleischhändler und Konsumenten wird die Qualität von Kalbfleisch immer noch mit einer «hellen» Färbung in Verbindung gebracht. Die Färbung des Fleisches hängt aber von der Ernährung der Kälber ab. Diese wurden in der Vergangenheit mit Milch und Milchprodukten gefüttert. Der tiefe Eisengehalt der Milch führte dabei zu einer helleren Färbung des Fleisches.

In der Kälbermast haben sich in den letzten Jahren jedoch einige Einflussfaktoren verändert. So stiegen Alter und Schlachtgewicht der Kälber stetig an. Auf die Qualität und die Zartheit des Fleisches hat dies keinen Einfluss. Allerdings beginnen mit zunehmendem Alter neben dem Labmagen auch die anderen Mägen (Pansen, Netzmagen, Blättermagen) zu verdauen. Der Anspruch an eine wiederkäuergerechte Fütterung mit Raufutter wie Heu und Stroh steigt.

Die Tierschutzverordnung trägt den Veränderungen in der Kälbermast Rechnung. Sie wird die Mastbetriebe verpflichten, den Kälbern ergänzend zur Milch auch Raufutter abzugeben. Das fördert die Gesundheit der Tiere. «Artgerecht aufgezogene Tiere sind erwiesenermassen weniger krankheitsanfällig und brauchen weniger Medikamente. Gleichzeitig färbt sich aber das Kalbfleisch durch die Aufnahme der zusätzlichen, eisenhaltigen Futterstoffe rosa bis rötlich», sagt Prof. Dr. Adrian Steiner, Leiter der Nutztierklinik, Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern.

Branche setzt sich für rosa bis rötliches Kalbfleisch ein

Die Fleischbranche steht hinter der Tierschutzverordnung und setzt sich für eine artgerechte Aufzucht ein. Die künftige rosa bis rötliche Färbung erfordert aber zweifellos eine Einstellungsänderung bei den Konsumenten und auch in der Gastronomie. Als Branchenorganisation informiert Proviande deshalb darüber, dass rötliches Kalbfleisch erstens ein hochwertiges Qualitätsprodukt, das viele essenzielle Nährstoffe enthält, und zweitens das Resultat einer artgerechten Fütterung ist.

«Wir sind überzeugt, dass die Konsumenten eine artgerechte Haltung und gesundes Fleisch nachfragen und gut auf die Veränderungen ansprechen werden», betont Peter Christen, Leiter Klassifizierung und Märkte, Proviande.

Auch die Fleischwirtschaft muss umdenken. So wird beispielsweise bei der Qualitätsbeurteilung neben Kriterien wie Gewicht, Fleischigkeit und Fettabdeckung neu auch das Alter in die Bewertung mit einbezogen. «Der im Fleischfachhandel bei rötlichem Kalbfleisch geltende Fleischfarbabzug wird derzeit hinterfragt. Er wird sukzessive an Bedeutung verlieren», sagt Peter Christen.

Hintergründe zum Kalbfleischkonsum

Kalbfleisch ist und bleibt dank seines idealen Fettanteils sowie seiner zarten Struktur gesund, leicht verdaulich und äusserst bekömmlich. Rund 6 Prozent des schweizerischen Gesamtkonsums von Fleisch fallen auf Kalbfleisch. Dieser Bedarf kann beinahe vollständig mit den rund 260‘000 Kälbern gedeckt werden, die pro Jahr in der Schweiz geschlachtet werden.

Mastkälber nehmen in der Schweiz eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Fleisch- und Milchwirtschaft ein. Sie helfen, den Rinderbestand zu regulieren. Denn damit Kühe Milch geben, müssen sie jährlich ein Kalb gebären. Gut 40 Prozent gelangen in die Nachzucht, alle anderen werden in die Kälber- und die Grossviehmast überführt.

Aufgrund seiner Vielseitigkeit und seiner einzigartigen Eigenschaften ist Kalbfleisch nicht nur in Privathaushalten beliebt, sondern wird insbesondere auch von den Gastronomen geschätzt. Von den mehr als 3 Kilogramm Kalbfleisch, die jede Schweizerin und jeder Schweizer pro Jahr durchschnittlich konsumieren, wird mehr als die Hälfte ausser Haus verzehrt. (Proviande 26.6.2012)

Mitteilung des «Schweizer Tierschutzes» STS

Die Farbabzüge für Fleisch von artgemäss gehaltenen und gefütterten Kälbern müssen und werden fallen. Das ist das erklärte Ziel unseres Verbandes. Dass nach dem 2. STS-Kälbergipfel vom 21.3.2012 eine Zusatzrunde benötigt wird, ist für uns enttäuschend, waren sich Bauern, Grossverteiler, Konsumenten und Tierschutz doch einig. Allerdings hat sich der SFF-Vorstand mit dem dezidierten „Nein“ zur beabsichtigten Streichung der Farbabzüge keinen Gefallen getan. Denn für alle Anwesenden wurde damit offensichtlich, dass der Profiteur der Farbabzüge seine Pfründe verteidigt und um des Profites willen offenbar auch systematisch fehlernährte, kranke Kälber in Kauf nimmt.

Da passt es gut ins Bild, dass dem Vernehmen nach gewisse Metzger Kalbfleisch aus Italiens Mastfabriken importieren würden. Zur Information: Mastkälber werden dort auf Betonböden ohne Stroh gehalten und die Kälbchen karrt man in 20-30 stündigen Fahrten sogar aus Holland und England heran. Dass Schweizer Importeure aus solchem Tierleid Profit ziehen, ist wahrlich kein Ruhmesblatt für die Branche. (Dr. Hansuli Huber, Geschäftsführer Fachbereich)

Kommentar des Schweizer Fleisch-Fachverbandes SFF

Der SFF ist einverstanden mit Kalbfleisch, das als Folge der neuen, vom Tierschutzgesetz vorgeschriebenen Fütterung eine hellrosa Farbe aufweist. Es muss sich aber farblich und geschmacklich deutlich vom Rindfleisch unterscheiden lassen. Ansonsten wird der Kalbfleischpreis gegenüber der Kundschaft zumindest mittelfristig kaum mehr zu halten sein.

Rotes Kalbfleisch bleibt im Gegensatz zum hellrosafarbenen in der Verkaufsvitrine liegen und muss deshalb meist verwurstet werden. Diese finanziellen Verluste wollen und können die Fleischverarbeiter nicht tragen. Der SFF begrüsst den Vorschlag des Kälbermästerverbands, eine Alterslimite von 160 Tagen für Kälber festzulegen. Das Alter kann aber nicht das einzige Qualitätsmerkmal für Kalbfleisch sein.
(gb)
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