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Report  08.03.2019
Do it yourself von Konfitüre bis selber schlachten
Vanillecreme oder Konfitüre kann eine Hausfrau kaufen oder selber machen, wenn sie talentiert ist, ebenso Brot oder Chocomousse. Es gibt heute Koch- und Backautomaten. Selber Wursten ist im Trend, aber was ist zu halten vom selber schlachten?
In früheren Zeiten wollte man mit Eigenfertigungen die oft mittelmässige Supermarktqualität übertreffen oder Früchte vom eigenen Garten verarbeiten und haltbarmachen. Unsere Grossmütter kannten das Einmachen im Weckglas (Bild). Das war einmal. Heute bieten Supermärkte und Manufakturen nebst Economy- auch Premiumprodukte an, deren Qualität zu übertreffen für Hobbyköche eine Herausforderung ist. Dennoch ist «Do it yourself» heute einer der stärksten Foodtrends. Konnte man vor Jahren im Laden nur Saucenmehl kaufen, so staunt man heute, wie viele Brotmehlsorten dort im Angebot stehen, ausserdem Ingredients-Spezialitäten wie man sie früher nur in Profibackstuben fand. Kursangebote für Hobbyhandwerker reichen vom Wursten bis zum Bier Brauen.

Die wahre Revolution findet aber bei den Küchengeräten statt. Zwar kannte man Joghurt-Inkubatoren, Dörrapparate, Teigwaren- und Glacemaschinen schon vor Jahrzenten, aber heute können Hausfrauen für wenig Geld Geräte kaufen für die Profi-Produkteherstellung, teilweise sogar automatische, programmierbare, mit Profi-Technologie wie Induktion ausgestattete, so etwa Brotbackautomaten, Obstentsafter, Vakuumgarer mit Niedertemperatur-Regelung und natürlich Kaffeevollautomaten mit Programmen für viele moderne Getränketypen.

Betty Bossi offeriert einen Multikocher zum Kochen, Braten und Backen für weniger als 100 Franken. Der Bosch-Kochautomat kocht mit Dampfdruck und Induktion. Diverse Firmen bieten Heissluftfriteusen an. Der Thermomix vereint viele Funktionen (mixen, mahlen, pürieren, mischen, aufschlagen, rühren, kneten, kochen, dampfgaren, wiegen, gradgenau temperieren, homogenisieren) und ist sogar internetfähig.

Die Zahl der bisher nur von Profis herstellbaren Produkte verringert sich aber es gibt noch welche: Kaum ein Hobbybäcker wagt sich ans Croissantteig-Laminieren – zu recht. Schokoladeherstellung aus Kakaobohnen ist technisch viel zu aufwändig für Haushalte. Sogar Confiserien, die mit eigener Schokolade werben, kaufen fertige Schokolade und mischen lediglich weitere Zutaten dazu. Auch bei Kartoffelchips oder Fasnachtschüechli sind die technischen Herausforderungen für Manufakturen viel zu hoch, geschweige denn für Hobbybäcker. Und macht es Sinn, ein Reifelager zu bauen, um während Jahren Rohschinken oder Käse für den Eigenkonsum zu reifen?

Effekthascherei spielt mit

Nun geschieht die Technikrevolution aber nicht nur beim Kochen und Backen im Haushalt sondern neuerdings auch bei Metzgereiprodukten und Käse. Bisher stellten Hausfrauen keine Würste oder Käse selber her oder allenfalls Hackfleisch mit einem Fleischwolf, der als Accessoire zu einer Universal-Küchenmaschine geliefert wird. Gerätehersteller, Buchverlage und Workshop-Anbieter dringen nun aber auch in diese Bereiche vor: Seit Kurzem werden sogar Weichkäsefertiger, Wurstfüller, Rohschinken-Schneideböcke, Räucherapparate sowie Dryage-Fleisch-Reifeschränke für den Haushalt angeboten und natürlich Do it yourself-Ratgeberbücher und -kurse.

Das Nonplusultra ist aber das Buch «Selber schlachten» vom deutschen Kopp-Verlag. Es beschreibt auch Prozesse wie Räuchern, Pökeln, Wursten und wirbt mit «haltbar machen durch einfache Methoden. Fleisch aus eigener Schlachterei bringt Sicherheit und Unabhängigkeit. Wer selber schlachtet, muss entweder jagen oder Tiere halten. Oder aber er kann sich ein Schlachttier beim Bauern seiner Wahl kaufen. Ein guter Einstieg ist die Hausschlachtung von Kleintieren wie Geflügel oder Kaninchen. Hausschlachten ist kein Hexenwerk und bei entsprechender Vorbereitung von jedermann durchführbar».

Spätestens jetzt drängt sich die Frage auf, was für Chancen und Risiken die Eigenfertigung im Haushalt grunsätzlich bietet. War früher Haltbarmachung der Hauptgrund, ist es heute vor allem die Kreativität: Konsumenten können Produkte nach eigenen Rezepten herstellen, die sie nicht kaufen können. Kreativität ausleben und sich darin verwirklichen macht Sinn. Ferner argumentieren Marketingstrategen der Gerätefirmen mit mehr Frische, was aber selten stichhaltig ist. Sogar in Supermärkten stehen zum Beispiel oft Orangenpressen, und einige Tankstellen verkaufen fast rund um die Uhr ofenfrische Backwaren.

Was Marketingstrategen nicht sagen aber wohl wissen: Heute ist es «in», mit Smartphones Selfies und Videos zu verschicken und in soziale Medien zu stellen. Wer dies tut kann sich mit extravaganten Eigenfertigungen in Szene setzen. An einer Party kann man Freunde beeindrucken mit Würsten aus dem eigenen Wurstfüller und Räucherofen. Solche Effekthaschereien sind wohl das heimliche Motiv beim selber schlachten. Wir leben nicht mehr im Krieg, der Epoche des rationierten Fleisches, als sogar Städter Kaninchen hielten für die Versorgung der Familie.

Eigenkonsum oder Abgabe an Dritte?

Kreativität kann ja kein Grund sein zum selber schlachten. Werner Siegenthaler von Proviande hält dies für «eine kleine Nische in der grünen Ecke», gibt aber zu bedenken, dass es nur für den Eigenkonsum in Frage kommt. In der Tat bewegt sich ein Hobbyschlachter auf einem höheren Schwierigkeitsgrad als ein Hobbymüller oder Hobbywurster. Auch zum Zweck des Eigenkonsums muss er Tierschutzbestimmungen beachten und die Tiere korrekt betäuben. Und wer Produkte aus eigener Schlachtung in Verkehr bringen will, benötigt eine Fachausbildung, untersteht der Lebensmittel- und Veterinärkontrolle und seine Schlachtanlage ist bewilligungspflichtig. Auch Verschenken gilt übrigens als In-Verkehr-Bringen.

Gemäss Siegenthaler kommen Hofschlachtungen (Bild) heute sogar auf Schweizer Bauernhöfen nur noch vereinzelt vor. Wen soll somit ein Ratgeberbuch zum Do it yourself-Schlachten ansprechen? Wohl nicht einmal Effekthascher, die sich inszenieren wollen. Zwar ist es immer spannend, einem Profi bei der Arbeit zuzusehen, aber wer will beim Töten und Schlachten eines Tieres zusehen? Nicht einmal Fleischliebhaber. Sinnvoll für Gourmets ist dagegen, edle Spezialitäten und Raritäten aufzuspüren und Selfies damit zu machen, so etwa prämierte Spitzenprodukte von Manufakturen, die sich an Prämierungen beteiligen. Dies ist zwar weniger spektakulär aber für alle Beteiligten nützlich. (GB)
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